In dem scheinbar leichtlebigen Clochard Martin Martinetti, den ihm der Zufall als Patient zuführt, findet der Arzt einen Seelenverwandten, in Martinettis Genesung von Sucht und Tumor die Hoffnung auf die eigene Erlösung.
Eine Hoffnung, die ein Patient zunichte macht. Der Mann, der auf dem Röntgenbild eine Art Jojo im Körper hat, weckt die von Montag mit so viel Mühe verdrängte Erinnerung an das Kindheitstrauma, fegt die Firniss des glücklichen Lebens hinweg. Um zu erfahren, warum der Krebsarzt sich nur als halber Mensch fühlt und nach diesem Patienten für sich nur einen Ausweg sieht, müssen die Leser Geduld haben und zwischen den Zeilen lesen. Die isländische Autorin Steinunn Sigurdardottir reiht Gedanken und Gespräche aneinander, Erinnerung und Gegenwart, innere Monologe und Dialoge. So erfährt man fast beiläufig, dass das rote Jojo im Körper des Patienten den Arzt an jenen Tag erinnert, als er, ein kleiner Junge noch, nach der Schule durch einen Park ging und auf einen Mann mit einem Jojo traf. Und natürlich ahnt man schon da, was Martin Montag zu einem halben Menschen gemacht hat.
Steinunn hat diese Missbrauchsgeschichte literarisch gut verpackt, sie kann wunderbar reflektieren, kann mühelos vom Seelenzustand des Protagonisten auf die Seele Berlins zu sprechen kommen, von der Verliebtheit auf den Tod. Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack nach diesem schmalen Roman, weil er eben die Erwartungen bedient, die er geweckt hat – bis hin zum Schluss, bei dem der andere Martin offenbart, was hinter dem Bruder Leichtfuß steckt.
Info: Steinunn Sigurdardottir, Jojo, Rowohlt, 186 S., 19,95 Euro
13Jul. 2014