„Der normale Wanderer, der gemeine Tourist, muss Themenwege lieben, sonst gäbe es nicht so viele.“ Das Phänomen, das Alpin-Chefredakteur Bene Benedikt in seiner „Gebrauchsanweisung für die Alpen“ anspricht, hat die touristische Runde zum Anlass für einen Diskussionsabend genommen:
Die Themenwanderwege, die all überall entstehen. In der Heide wandert man auf dem Heidschnuckenweg, im Schwarzwald auf dem Mehlweg, in Franken auf dem Bierweg; man kann sich auf Denker- und Dichterspuren begeben, Maler-, Märchen- und Fabelwege genießen, den Weg des Wassers und des Salzes verfolgen oder auf Schmugglerpfaden und königlichen Wegen in die Vergangenheit wandern. Überall Tafeln, Hinweisschilder, Markierungen. Wozu das alles? Wieviel Anregungen braucht der Mensch, um sich auf Wanderschaft zu begeben? Braucht er gar eine Allgäu-Trilogie, die Wandern auf drei Ebenen propagiert?
Christa Fredlmeier, Projektleiterin Wandern bei der Allgäu GmbH, bejaht diese Frage uneingeschränkt. Die
Wander-Trilogie, das stellt sie auch klar, habe das Ziel neue Gäste in die Region zu bringen, weil die Stammgäste „irgendwann nicht mehr kommen“. Die Trilogie soll das Allgäu auch solchen Gästen schmackhaft machen, die keine eingefleischten Wanderer sind. Vier Jahre habe man an dem Konzept gearbeitet, das ein nie da gewesenes Wanderwegenetz über die Region spanne.
In 51 wanderbaren Etappen werden 876 Kilometer verbunden. Die drei Ebenen – Wiesengänger, Wasserläufer, Himmelsstürmer – sollen den Gast dazu einladen, sich auf den Weg zu machen – nach seinen individuellen Wünschen und Möglichkeiten. Und in den Trilogie-Räumen mit so poetischen Namen wie Glückswege, Naturschatzkammern oder Alpgärten erzähle die Landschaft ihre Geschichten. Für Fredlmeier ist das Ganze alles andere als verkopft. Der Gast könne sich wie auf einer Menükarte die passende Wanderung aussuchen. Und das gefalle den meisten, wie ihre bisherigen Erfahrungen zeigten.
Ein „kreatives Gesamtpaket“ verspricht „Der Grüne Ring“ in Lech Zürs. Diese sommerliche Etappen-Wanderung sei dem „Weißen Ring“ nachempfunden und lade dazu ein, „Geheimnisse unter dem Schnee“ zu entdecken, erklärt Germana Nagler von der Lech Zürs Tourismus GmbH.
„Die Landschaft schaut ja vollkommen anders aus.“ Man konfrontiere die Wanderer auch nicht mit einem Schilderwald, sondern wecke ihre Aufmerksamkeit durch schöne Installationen in der Landschaft wie Sitzmöglichkeiten, Hütten, die zu Hüttenbibliotheken umgewandelt wurden, oder auch einen in die Landschaft gestellten Postkasten mit Doppelfunktion. Hier könne der Gast eine Ansichtskarte entnehmen, schreiben und wieder einwerfen. Geleert werde der Postkasten einmal im Jahr, so Nagler. Wie alle Installationen am Grünen Ring werde auch der Briefkasten im Winter abgebaut, weil auf diesen Wegen die Skipisten verlaufen. die Installationen habe man den Bildhauer Daniel Nikolaus Kocher ins Boot geholt. Die Schriftstellerin Daniela Egger habe dazu alte Sagen umgeschrieben oder neue erfunden, nachzulesen sind sie im Büchlein „Ein Samurai am Kriegerhorn. Sagen zum Lesen und Wandern“. Nagler ist überzeugt davon, dass der Grüne Ring weiter wachsen werde. Wichtig sei, auch die Einheimischen einzubinden, wie es in der sechs Meter langen „Chluppa“ geschehe. Diese Trockensteinmauer bilde die Bevölkerung von Lech Zürs im Jahr 2010 ab, alljährlich würden die Neugeborenen als neue Steine hinzugefügt. Neu in diesem Jahr sei „Der Grüne Rätsel-Ring“, der Groß und Klein vor knifflige Aufgaben stelle. „Wenn wir es schaffen, dass die Gastgeber begeistert sind, ist es auch der Gast“, sagt Nagler.
Nicht ganz so überzeugt vom Sinn der Themenwege ist Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein. Den Wanderern unter den 1 370 000 Alpenvereinsmitgliedern – immerhin über 90 Prozent – ist seiner Meinung nach in erster Linie die Natur wichtig.
Damit sie die genießen können, sollten die Wanderwege gleichmäßig leicht, mittel oder schwer sein – „ein unwegsamer Weg ist für uns per se kein schlechter, sondern ein schwieriger Weg“. Sie sollten sich in die Landschaft einfügen, durchgehend ausgeschildert, kartiert und erfasst sein – auch im Internet. Premiumwanderwege, „ein Konzept aus dem Mittelgebirge“ sieht Bucher als Instrument, um neues Klientel für das Wandern zu gewinnen. glaubt aber nicht, dass das Konzept auf das Hochgebirge übertragbar ist. „Wege wollen nicht nur beschildert und möbliert, sie wollen auch erhalten werden“, gibt er zu bedenken und: „Ein Stück weit sollte auch die Natur für sich sprechen dürfen.“
Walter Knittel, Geschäftsführer der Donaubergland GmbH, ist davon überzeugt, dass Premiumwanderwege dabei helfen, neue Gäste anzusprechen. „Wir sind vor allem ein Wirtschaftsstandort und weniger ein Tourismusziel“, gibt er sich bescheiden. „Wir können nicht mit dem Schwarzwald oder dem Bodensee konkurrieren.“ Deshalb seien themenorientierte Produkte wie der Donauberglandweg, der 2013 zum zweitschönsten Wanderweg Deutschlands gekürt wurde, wichtig. Die fünf Premiumwanderwege
„Donauwellen“ vermarktet er zusammen mit dem gleichnamigen Gebäck, das eine „echte Renaissance“ erlebt habe. Kalorienbombe“ könne man auf dem Themenweg wieder ab-wandern. Jedenfalls verzeichnet Knittel ein „starkes Wachstum der Wanderer und einen starken Verbrauch der Donauwellen“. Zur Finanzierung der Wege gäbe es Wegepatenschaften, berichtet der Geschäftsführer. Die größten Arbeitgeber beteiligten sich am Wegeunterhalt und sorgten so auch dafür, dass sich die Menschen vor Ort mit diesen Wegen identifizieren. Über eine Studie soll auch der gesundheitliche Aspekt des Wanderns verdeutlicht werden. Geplant sind dann regelmäßige Angebote für die Arbeitnehmer vor Ort.
Vor allem die Mittelgebirgswanderer will Martin Roscher, Kulturamtsleiter in der Stadtverwaltung Albstadt, mit den Traufgängen ansprechen. Wortspiele wie „Traufgänger“ oder
„Kante zeigen“ (von der Kante des Albtraufs) sollen ebenso Aufmerksamkeit erregen wie das Bier zur Wanderung. Und das kommt an. Im fünften Jahr, so Roscher, könne er von einem großen Erfolg sprechen. Die Gäste bevorzugten Halbtages- und Tagestouren sowie Rundwanderungen auf naturbelassenen undPfaden. „Das alles haben wir versucht umzusetzen.“ Einer der Traufgänge gehöre denn auch zu den bestzertifizierten Premiumwanderwegen. In Folge der Nachfrage auf den Wanderwegen habe sich auch eine reiche Gaststättenkultur entwickelt, neu sei ein Hüttenkonzept. Außerdem wolle man dazu beitragen, regionale Produkte zu vermarkten. „Wir sind der Meinung, dass der Kunde Qualität sucht, aber die muss man leben“, bilanziert Roscher und plädiert für eine Zusammenarbeit mit anderen Premiumwegen.
„Wanderforschung im Mittelgebirge ist eine andere als im Hochgebirge“, stellt Eckart Mandler, Geschäftsführer Alpines Wandermanagement und Gründer der österreichischen Wanderhotels, klar. Wandern insgesamt sei aber ein wichtiges Thema.
Die Menschen wollten in erster Linie Natur und Landschaft genießen und nicht ein Möbelhaus in der Natur besuchen. Sie wollten Luft zum Durchatmen, weil sich ihr Arbeitsalltag immer mehr hinter Stahl, Glas und Beton abspiele. „Draußen ist schick“, so Mandler, „aber die Menschen haben verlernt, mit offenen Augen unterwegs zu sein. Sie haben den Sinn für Orientierung verloren.“ Vor lauter GPS-Geräten und google-Diensten sähen sie oft nicht mehr, wohin sie gingen. sei die Markierung eine wichtige Information, biete einen hohen Grad an Sicherheit. Die Wegweiser müssten sichtbar sein, sollten aber sparsam eingesetzt werden, fordert der Wander-Experte. Themenwege seien „ziemlich modern“ und sie förderten auch die Auseinandersetzung mit den Inhalten eines Landschaftsraums, erschlössen neue Naturräume. Allerdings müsse man sich immer wieder fragen: Ist der Weg wirklich notwendig? Wichtig sind für Mandler die Weitwanderwege wie der Alpe Adria Trail, der Kärnten, Slowenien und Italien verbindet und so Länder und Kulturen zusammenführe. Auf solchen Wegen gäbe es eine große touristische Nachfrage, die definitiv auch ein Wirtschaftsfaktor sei. Weitwanderer brächten Wertschöpfung in abgelegene Regionen, wo sonst kaum Menschen hinkämen. „Weitwanderwege“, resümiert der Experte, „liegen im Trend, weil der Mensch längere Wege und Zeit zum Abschalten benötigt und erst nach mehr Etappen in einen Flow-Zustand wechseln kann.“
Dem widerspricht Walter Knittel vehement: „Die Wanderer gibt es nicht, auch ein Sonntagsspaziergang kann eine Auszeit sein.“ Wichtig sei, dass der Wanderer sich wohlfühle, assistiert Martin Roscher. Christa Fredlmeier, die auch Geschäftsführerin der TopTrails Germany ist, räumt ein, dass die Wanderbewegung aus dem Mittelgebirge kommt. Mit den TopTrails wolle man nicht nur „Leuchtturmprojekte“ fördern, sondern eine nachweisbare Qualität erreichen. Dabei ginge es nicht darum, die Berge zuzupflastern, man wolle vielmehr den
Wanderern Orientierungshilfe geben.
Für Georg Bayerle vom Bayerischen Rundfunk sind solche Projekte oft nicht viel mehr als des „Kaisers neue Kleider“. Die Allgäu-Trilogie etwa nutze ein Netzwerk von Wegen, „das schon vor der Erfindung des Automobils“ bestand. Statt die alten Geschichten wiederzubeleben propfe man den Wegen Neues auf. „Muss man ein Fenster in die Landschaft stellen, damit die Leute durchs Fenster in die Landschaft schauen?“ fragt Bayerle provokativ und outet sich als Gegner von Premiumwanderwegen, „wo ich mich vor Markierungen oder Schildern nicht retten kann“. Für ihn gäbe es „nichts Schöneres als mich einmal zu verlaufen und Neues zu entdecken“.
Martin Roscher will das nicht so stehen lassen. „Wenn man sich verläuft, wird die Wanderlust zum Wanderfrust“, gibt er zu bedenken. Profis könnten sich dann immer noch zurechtfinden, nicht aber der Gelegenheitswanderer. Bei den Markierungen müsse gelten: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Man wolle die Menschen „nicht auf einen Highway lenken“, sondern sie dazu einladen, „in der Natur zu flanieren“. Auch Walter Knittel ist überzeugt davon, dass die heutigen Wanderer andere Orientierungshilfen benötigen als ihre Vorgänger im letzten Jahrhundert. Wichtig sei deshalb eine Qualitätsoffensive wie die Premiumwanderwege. Immer mehr der bisherigen Wanderwege seien zubetoniert oder immer weniger gepflegt. Ein Premiumwanderweg dagegen sei ein Qualitätsversprechen. Und für die Wanderwege allgemein gelte: weniger ist mehr. In Albstadt war man da konsequent, wie Martin Roscher erläutert. Heute gäbe es 90 Kilometer Traufgänge, dafür seien 70 Kilometer kommunale Wanderwege aufgelöst worden. Trotzdem kämen immer mehr Wanderer -„wegen der Wandermarke“.
Dass Themenwege im Mittelgebirge und auf mittleren Höhen sinnvoll sind, räumt Thomas Bucher ein. Aber: „großer Teil im Hochgebirge soll Wildnis bleiben.“ Der Alpenvereinsmann wendet sich gegen zu viel Erschließung. „In den Alpen gibt’s schon zu viele Schilder, die zeigen, wo’s hingeht.“Auch Eckart Mandler ist gegen einen Schilderwald. „Die Leute stehen im Wald und sehen keinen Baum, aber deshalb muss man nicht jeden Baum beschriften.“ Der beste Zugang zur Natur sei immer noch der über einen anderen Menschen. Ein Natur- oder Bergführer könne „Lust auf Landschaft im wirklichen Sinn“ machen. Diese Lust müsse man auch Kindern wieder vermitteln, glaubt Germana Nagler. Beim „Grünen Ring“ animiere deshalb ein Theaterstück über eine wanderfaule Prinzessin Kinder zum Wandern und der Ring“ zum Lösen kniffliger Fragen. „Viele Kinder haben den Bezug zur Natur verloren“, weiß Walter Knittel. Da müsse man sich Gedanken machen, wie man solche Kinder auch in der Schule wieder zum Wandern bewegen könnte, aber nicht wie früher mit dem guten, alten Schulausflug. Hilfreich könne auch sein, Familien fürs Wandern zu begeistern – und da kämen dann die Themenwanderwege wieder ins Spiel.
Weiterführende Informationen
Allgäuer Wander-Trilogie: www.allgaeu.de/wandern
Grüner Ring: www.dergruenering.at/
Donauwellen: www.donaubergland.de
Traufgänge: www.traufgaenge.de/
Wanderhotels: www.wanderhotels.com/
Alpe Adria Trail: www.alpe-adria-trail.com/
Premiumwanderwege: www.wanderinstitut.de/premiumwege/
TopTrails: www.top-trails-of-germany.de/
Deutscher Alpenverein: www.alpenverein.de
22Sep. 2014
September 23, 2014
Danke für die lebendige und kontroverse Runde. Ich fand die Beiträge sehr anregend. Wir stehen hier erst am Anfang der Diskussion. Ich würde mich freuen, wenn wir sie fortführen könnten. Es ist spannend zu sehen, wohin die Reise geht oder besser wohin uns der Weg führt.
Danke auch für die essentielle Zusammenfassung!