Teuflische Machenschaften: Andrea Camilleris „Die Sekte der Engel“

Wie sich die Dinge gleichen: Die katholische Kirche hat sich gerade von dem Mann distanziert, der den sexuellen Missbrauch durch Priester aufklären sollte. Jetzt soll ein anderer die Arbeit übernehmen. Immerhin. Im neuesten Roman von Andrea Camilleri wird am Ende durch ein Bündnis von Adel, Großgrundbesitzer, Kirche und Mafia jede Aufklärung verhindert und der aufrechte Anwalt, der dem Recht und der Wahrheit zum Sieg verhelfen wollte, davon gejagt. 

Als Vorlage für sein gesellschaftskritisches Sittenbild dient dem 87-jährigen Autor ein wahrer Fall, der sich zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in dem Städtchen Alia tatsächlich zugetragen hat. Mehrere unverheiratete Frauen und minderjährige Mädchen waren schwanger geworden und konnten nicht sagen, wer der Vater ihrer ungeborenen Kinder war. Für die Aufklärung des Falles sorgte ein Anwalt, der als linker Außenseiter keinen Zugang zum „inner circle“ des Ortes fand. Er deckte auf, dass die Priester des Ortes die Frauen missbraucht und ihnen eingeredet hatten, diese sexuellen Praktiken seien gottgefällig. 
Der Name des Anwalts ist authentisch ebenso wie der seiner „Kampf“-Postille. Trotzdem legt Andrea Camilleri im Nachwort Wert darauf, dass „dieser Roman als ein Produkt meiner Phantasie angesehen werden“ müsse. Er hat ihn mit komödiantischen Dialogen, mit grotesken Szenen und viel Lokalkolorit angereichert, hat die Patriarchen des Orts mit Eigensinn, Bauernschläue und Dreistigkeit ausgestattet, die Frauen mit Demut und Naivität geschlagen und dem Anwalt einen unbestechlichen „Capitano“ zur Seite gestellt. Sie enthüllen, was in dem frommen Dorf einer Gotteslästerung gleich kommt. Nicht nur, dass ein Priester ein minderjähriges Mädchen so schwer missbraucht hat, dass sie Selbstmord beging. Nein, der ganze teuflische Sumpf der „Sekte der Engel“ gelangt durch die Arbeit des Anwalts und des Capitano ans Tageslicht – und damit das ganze Dorf in Misskredit. 
Das kann die Allianz der Scheinheiligen nicht dulden. Der Anwalt, kurz zuvor noch Held der Aufklärung, wird an den Pranger gestellt, bedroht und in die Flucht geschlagen. Die einflussreichen Familien finden – gut bezahlte – Väter für die ungeborenen Kinder, das Dorf kehrt zum Alltag zurück und die Kirche zum schönen Schein. Ein wahrlich hintergründiges Lesevergnügen.  
Info: Andrea Camilleri, Die Sekte der Engel, Nagel & Kimche, 235 S., 18,90 Euro

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert