Stirnguss und Schokoladenbad: Warum Wellness immer noch Konjunktur hat

Es muss ja was dran sein, am Wellness-Boom. Wenn schon Google 165 Millionen Seiten zu dem Begriff aufweist (für Erholung gibt’s gerade mal 14 Millionen). In der touristischen Runde München gingen Experten auf die Suche nach den Gründen.

Schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert hat Barbara Richter geahnt, dass den Deutschen das eigene Wohlbefinden wichtig ist und damit begonnen, Gesundheitsurlaub anzubieten. „Gesundheitsurlaub, das klang nach Krankheit und war nicht der Renner“, erinnert sich die Pionierin. „Und dann kam Wellness und plötzlich ging’s.“ Gäbe es den Begriff nicht, man müsste ihn erfinden, meint Richter zu dem Kunstwort aus „wellbeing“ und fitness oder happiness – eine Mischung aus Wohlbefinden, körperlicher Fitness und Glück – das wie so vieles aus dem Amerikanischen zu uns kam. Richter, die mit dem „Wellnessfinder“ im Internet präsent ist, ist überzeugt davon, dass die Menschen sich heute mehr für ihre Gesundheit interessieren und im Hotel nicht nur „Streicheleinheiten“ suchen, sondern konkrete Unterstützung für ihr Bestreben, möglichst lange gesund zu bleiben.
Nicht ganz so lange auf der Wellness-Schiene aber immerhin schon acht Jahre dabei ist Susanne Schlung mit Neckermann Care und da schlägt sich der Boom in Zahlen nieder: Aus 11 000 Gästen im Jahr 1999 sind mittlerweile 100 000 Gäste geworden. Neben einer leichten Stagnation hat Schlung Veränderungen im Verhalten der Kunden festgestellt. „Was man früher als Wellness buchte, ist heute nicht mehr gefragt. Man nimmt lieber mehr Geld für ein teureres Hotel in die Hand und spart dann bei den Anwendungen.“ Was gebucht werde, seien auch nicht die exotischen Anwendungen, die „ständig in den Frauenzeitschriften stehen“, sondern klassische Massagen und Gesichtsbehandlungen. Die Menschen seien „Wellness erfahrener“, schauten mehr aufs Geld und schreckten vor Experimenten zurück, weiß Schlung. Gefragt seien vor allem Bausteine. Von einem nachhaltigen Gesundheitsurlaub sind die Wellness-Aufenthalte aber noch weit entfernt: „Es ist immer noch eine Wochenend-Geschichte“.
Einen Wertewandel sieht dagegen Isabel Hirt, die bei Bayern Tourismus Marketing für WellVital zuständig ist. „Es geht nicht nur ums pampern“, ist sie überzeugt. In Bayern würden die Heilbäder und Kurorte mit in die WellVital-Kampagne einbezogen und der ärztliche Check-up stünde im Mittelpunkt. Also weg von der Wochenend-Wellness hin zu einer auch von den Krankenkassen bezuschussten Prävention. Dass viele Hoteliers immer noch versuchten, exotische Anwendungen nach Bayern zu bringen, bedauert Hirt. Sie setzt sich dafür ein, mit bayerischer Tradition im globalen Konkurrenzkampf zu punkten: „Wir stellen die ortsspezifischen Anwendungen ganz selbstbewusst in den Vordergrund.“ Ein original bayerisches Brotbad etwa sei heute für viele exotischer als ein ayurvedischer Stirnguss.
Für Christian Werner, Herausgeber der Relax-Guides, die für sich in Anspruch nehmen, österreichische und deutsche Wellness-Hotels objektiv und kritisch zu beurteilen, ist Ayurveda nur dann akzeptabel, wenn die Anwendungen von gut ausgebildeten Therapeuten und im Rahmen einer mindestens 14-tägigen Auszeit verantwortungsvoll verabreicht würden. Ein isolierter Stirnguss sei nicht nur unnütz, sondern könne sogar schädlich sein, stellt  Werner klar. Das Brotbad allerdings verwies er kategorisch in die Reihe der Nonsense-Treatments ohne jede therapeutische Wirkung, die in letzter Zeit um sich griffen. „Ein vitaminreiches Zitronenbad ist in jedem Fall ein Unfug genauso wie die Hautbehandlung mit Schokolade“, wettert  der Wiener gewohnt scharfzüngig. „Dann schon lieber eine gute Flasche Wein. Da hat man wenigstens etwas davon.“ Den Verdacht, dass Nonsense-Treatments bevorzugt eingesetzt würden, weil sie teuer zu verkaufen sind und kein qualifiziertes Personal erforderten, bestätigt Werner. „Meist sind es die miesen Häuser, die so etwas im Programm haben. Die guten brauchen solche Aufreger nicht, um auf sich aufmerksam zu machen.“ Beruhigend: wenn solche Behandlungen schon keinen therapeutischen Nutzen haben, so haben sie wenigstens auch keine Nebenwirkungen.
„Die reine Ware wird vom Gast nur schwer gebucht“, hat Christiane-Maria Rapp von der Geschäftsführung des Kneippianum in Bad Wörishofen, erfahren. „Wer will denn heute etwas für seine Gesundheit tun und damit zugeben, dass er womöglich krank sein könnte?“  Da sei Wellness ein guter  Köder. „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler und offensichtlich schmeckt Wellness dem Kunden.“ Man könne nicht „ganz asketisch und pur“ sein, „a bisserl Zeitgeist muss auch sein“. Dazu zählt für Rapp etwa die Aromatherapie.
Detlef Jarosch, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern im Deutschen Medical Wellness-Verband, sieht dagegen „das Thema Ganzheitlichkeit und Authentizität im Kommen“. Immer mehr Betriebe wollten sich absetzen, auch indem sie sich auf ihre Wurzeln besännen. „Ayurveda bietet doch heute jeder. Kneipp dagegen wird wieder entdeckt“, wirbt der Geschäftsführer des Sebastian-Kneipp-Instituts für eine Renaissance der Kneipp-Therapie. Mit seiner Ordnungstherapie, die den Einklang von Körper, Geist und Seele propagiere, sei der „Wasserdoktor“ heute so aktuell wie selten zuvor, sekundiert Christiane-Maria Rapp vom Kneippianum.
Aus der Kneipp-Therapie kommt auch Andreas Eggensberger, Besitzer des Bio- und Wellnesshotels Eggensberger in Hopfen am See, das als erstes Hotel vom Medical Wellness Verband zertifiziert wurde.  Für ihn ist deshalb die Wahl klar: Kneipp statt Ayurveda. „Wir machen nichts, was wir nicht können“, sagt   Eggensberger bestimmt. „Wir trennen Medical und Wellness.“ Auf der einen Seite ärztliche Beratung und entsprechende Behandlung, die auch eine Woche dauern können. Auf der anderen Seite reine Wellness fürs Wohlgefühl.
Für Relax-Guide-Herausgeber Werner ist Medical Wellness trotzdem eine „inhaltliche Seifenblase“. Vor zwei Jahren habe es grade mal vier Häuser mit Medical Wellness gegeben, heute seien es 70 Häuser, die „genau das gleiche machen wie vorher nur unter dem neuen Label Medical Wellness“. Das Hotel Eggensberger klammert Werner dabei ausdrücklich aus. Er sieht auch keinen echten Markt für Prävention und Gesundheitsurlaub. Der stressgeplagte Mensch von heute wolle sich in den zwei bis drei Tagen Auszeit, die er sich leisten könne, einfach etwas Gutes tun, ist er überzeugt. Eine Ansicht, die Neckermann-Frau Schlung teilt: „Wichtig ist doch, dass ich etwas für mich tue, gleich wie’s heißt.“
Das sieht der Medical Wellness Verband natürlich anders. Jarosch betont die Bedeutung der Qualitätssicherung. Medical Wellness heiße schließlich, dass der Arzt immer dabei sein müsse. Bei der Zertifizierung gehe es um Einrichtungsstandards und Programm aber auch um Inhalte. Im Gegensatz zu Werner sieht Jarosch einen ständig wachsenden Markt für Prävention.  "Psychosoziale Gesundheit ist das Thema der nächsten Jahre“.
Marktbereinigung ist dagegen für Kritiker Werner unumgänglich. Von den 490 bayerischen Wellness-Hotels etwa seien die Hälfte alte Kurbetrieb und „vielleicht mit einem Fuß im Grab“, sagt er provokant. Auch im Bereich der Gütesiegel (25 allein im Bereich der Wellness-Hotels) werde es zu einer Marktbereinigung kommen, prophezeit er – und im Bereich der Guides. Dass der Relax-Guide überlebt, ist für den Herausgeber dabei selbstverständlich. Nicht aber, dass der Begriff Wellness noch in zehn Jahren existiert.

Infos im Internet unter www.wellnessfinder.de, www.dmzv.de, www.relax-guide.com, www.eggensberger.de, www.neckermann-reisen.de, www.kneippsche-stiftungen.de, www.bayern.by, www.kneipp-institut.de

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