Seelenritzen: Antje Wagners „Schattengesicht“

Rosa bevorzugte es jedoch, die Mädchen eigenhändig zu feuern. Das erforderte Zeit und Fingerspitzengefühl. Sie wollte die Ritzen der Seele finden. Je versteckter sie waren, desto interessanter wurde es.“
Mila leidet unter Rosa wie die anderen Zimmermädchen auch. Wie weit wird die sadistische Vorgesetzte gehen? Zusammen mit Polly hat Mila es schon anderen gezeigt, dass sie nicht alles mit sich machen lässt. Muss die junge Lehrerin deshalb ins Gefängnis?

Antje Wagner lässt Milas Geschichte rückwärts laufen. Die Leser wissen
erst einmal nur, dass sie hinter Gitter muss, weil sie „jemanden
umgebracht“ hat. Rosa? Oder war es der fiese Typ, der Jugendliche unter
Vortäuschung falscher Tatsachen im Chat kennenlernte und sie dann
missbrauchte? Das konnte Polly doch nicht mit ansehen – und Mila auch
nicht. Die beiden wollen einfach nur Gerechtigkeit. Und immer haben sie
nur einander.
Denn Mila war ein einsames Kind, nachdem ihr Vater gestorben und ihre
Mutter krank geworden war. Und nachdem ihre neuen Erziehungsberechtigten
auch noch die einzigen Freunde, die sie in dem kleinen Ort hatte,
verjagt hatten. Polly wurde zum Ersatz, zur Vertrauten, ohne die sich
Mila ein Leben nicht mehr vorstellen konnte.
Von Anfang an zieht die Geschichte die Leser in ihren Bann. Antje Wagner
baut eine leise, hintergründige Spannung auf, die sich zum Sog
entwickelt. Man will immer weiter lesen, sich in Mila Kindheit
vorarbeiten, die Ritzen ihrer Seele erkunden und das, was in ihrem Kopf
vorgeht. Das Ende – oder besser der Anfang – ist dann trotz allem
vorhersehbar. Und dennoch bleibt dieser abgründige Roman im Gedächtnis
haften und hallt lange nach. 
Info: Antje Wagner, Schattengesicht, Quer Criminal, 187 S., 12,90 Euro, ab 13

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert