Als erstes war da die Geschichte der Einsiedlerin in der Taiga, die nichts von der Welt weiß. Jens Mühling, seit seiner Freundschaft mit dem russischen Fernsehproduzenten Juri immer auf der Suche nach der wahren russischen Seele, will sie unbedingt kennenlernen. Doch der Weg zu der abgelegenen Einsiedelei erweist sich als schwieriger als gedacht. So reist der Journalist von Kiew über Moskau und Sankt Petersburg nach Sibirien und schreibt über seine Begegnungen mit Menschen, die ihn beeindrucken, anrühren oder auch befremden. Mühling schreibt nicht über das politische Russland, über Putins Reich, sondern über Mütterchen Russland, das Reich der Gefühle: „Eine ewige Sehnsucht nach Erlösung trieb Russland voran, ein Leiden am Diesseits, dem nur ein Jenseits den Schmerz nehmen konnte.“ Das trifft auf den Priester zu, der in Tschernobyl eine Kirche gebaut hat und auf den Mathematiker, der die Geschichte neu zusammensetzen will. Auf den Geologen, der zum Bewahrer eines Märtyrerfriedhofs aus der Stalin-Zeit wurde und auf die Mutter, die ihren gefallenen Sohn in Tschetschenien sucht. Auf den Mann, der meint, er sei der (ermordete) Zarensohn und auf den Archäologen, der sein Leben der Ausgrabung einer 4000 Jahre alten Stadt in der Steppe widmet. Auf den Kosaken, der Stalins Terror überlebt hat und auf die Einsiedlerin, die Mühling am Ende doch noch trifft, und die sich eingerichtet hat in einer Welt jenseits unserer Zivilisation. Der Autor hat keine Mühen gescheut, um den Menschen nahe zu kommen, sogar zum Eisbaden hat er sich überreden lassen und natürlich zum Wodkatrinken. Es hat sich gelohnt. Sein Buch ist nicht nur eine Reise in die Abgründe der russischen Seele, es ist auch eine Reise in andere Zeiten. Wunderbar geschrieben und spannend zu lesen – und das auch zwei Jahre nach dem ersten Erscheinen.
Info: Jens Mühling, Mein russisches Abenteuer – Auf der Suche nach der wahren russischen Seele, DuMont, 384 S., 14,99 Euro
29Dez. 2014