Schutzgebiete: Der Alpenraum als Lackmus-Test

96 500 Schutzgebiete gibt es in Europa, weltweit sind es 210 000. Eine immense Natur- Ressource, die zur Bewältigung des globalen Wandels beitragen könnte. Doch wie begegnen die großen Schutzgebiete Europas tatsächlich den Herausforderungen des globalen und regionalen Wandels?  Das fragen sich Naturschützer und Wissenschaftler seit Jahren. Eine Antwort versucht das Buch „Parks of the Future“, das in 22 Kapiteln Expertisen aus ganz Europa zusammenträgt. Die vier Herausgeber, allesamt Professoren, stellten das Buch in München vor und warfen dabei die Frage auf, ob Schutzgebiete eine Schlüsselrolle als „Real-Labore“ für einen nachhaltige Entwicklung übernehmen könnten.

Mehr als „nur“ Naturschutz

Der Alpenraum fungiere dabei als Lackmus-Test, denn Fragen, die den Alpenraum beträfen, gingen auch andere Schutzgebiete an und bedürften dringend der Lösung, betonte Ingo Mose von der Universität Oldenburg. Seiner Ansicht nach nehmen Schutzgebiete mehr Aufgaben wahr als „nur“ Naturschutz. Sie könnten Modelle sein, „von denen Wirkung in die Gesellschaft ausstrahlt“. Allerdings stelle sich auch die Frage, ob manche Schutzgebiete nicht bloßer Etikettenschwindel seien.

Nationalpark Kellerwald-Edersee Bäume

Die Natur sich selbst überlassen: Nationalpark Kellerwald-Edersee

Geduld mahnte Norbert Weixlbaumer an. Es könne mehr als eine Generation dauern, bis Schutzgebiete von der Bevölkerung angenommen würden. Als positives Beispiel nannte der Professor aus Wien den Bayerischen Wald, der inzwischen eine hohe Akzeptanz genieße. Die anfänglichen Widerstände seien nach mittlerweile 55 Jahren überwunden. Das Beispiel Bayerischer Wald zeigt nach Weixlbaumers Analyse auch, wie wichtig der Kontakt zur Bevölkerung ist, um Schutzgebiete effektiv zu etablieren. Politische Unterstützung sei ein weiterer Faktor, ebenso eine geeignete Managementstruktur und ein Monitoring, um neuen Herausforderungen durch entsprechende Maßnahmen zu begegnen. Auch Weixlbaumer verhehlte nicht, dass es selbst unter den 104 Naturparken „no names“ gäbe, reine „Paper-Parks“, die weder über eine richtige Struktur noch über genügend Personal verfügten, um bestehen zu können.

Gefahr der Verinselung

Thomas Hammer von der Universität Bern sieht die Schutzgebiete im besten Fall als „Öko-Dienstleister“, die gesunde Luft und Nahrung liefern sowie Erholungsräume bieten und damit für die Gesamtgesellschaft wichtig sind. Um wirklich wirkungsvoll zu sein, sollten sie sich in Netzwerken organisieren und auch mit nahe gelegenen Städten kooperieren. „Klimaschutz kann man nicht mit einem Biotop erzielen, man muss auch das örtliche Gewerbe mit einbinden“,  ist Hammer überzeugt. Er warnte vor einer drohenden Verinselung der Schutzgebiete und forderte „ökologische Korridore“ durch die Einbeziehung des Umlandes und großräumiges Handeln.

"Am Riedberger Horn entscheidet sich, welche Rolle der Naturpark Nagelfluhkette in Zukunft spielt.

„Am Riedberger Horn entscheidet sich, welche Rolle der Naturpark Nagelfluhkette in Zukunft spielt.“

Für Dominik Siegrist von der Hochschule Rapperswil ist die Besucherlenkung eine zentrale Frage. Es sieht Situationen, in denen Verbote notwendig sind etwa bei Infrastrukturprojekten wie am Riedberger Horn im Allgäu, wo eine geplante Skischaukel die Gemüter erhitzt. Um Raubbau zu verhindern forderte Siegrist, dass die Ziele der Schutzgebiete in die Raumordnung übernommen werden müssten. Am Riedberger Horn werde sich die Frage stellen, welche Rolle der Naturpark Nagelfluh in Zukunft spielen werde, warnte Siegrist und kritisierte eine „zahnlose Raumordnungspolitik“.

Es geht auch um die Lebensperspektive der Jugend

Erwin Rothgang, Präsident der CIPRA Deutschland forderte, die Raumordnung alpenweit so zu gestalten, dass sie „etwas bewirkt“ und verbindliche Perspektiven schaffen könne. „Ruinöse Erschließungsprojekte“ müssten gestoppt, weniger attraktive Naturräume entlastet werden. Dafür könnten spektakuläre Inszenierungen dort ermöglicht werden, wo ohnehin schon Massentourismus stattfinde. Wichtig sei es, dass die Menschen mitgestalten, dass auch die Lebensperspektive der Jugend berücksichtigt werde.

Schöne Natur allein bringt ein Schutzgebiet nicht weiter. Die Bevölkerung muss dahinter stehen.

Schöne Natur allein bringt ein Schutzgebiet nicht weiter. Die Bevölkerung muss dahinter stehen.

Info: T.Hammer, I. Mose, D. Siegrist, N. Weixlbaumer (Eds), Parks of the Future – Protected Areas in Europe Challenging Regional and Global Change, oekom Verlag, 280. S., 29,95 Euro, ISBN 978-3-86581-765-5
Internet: www.oekom.de/nc/…/parks-of-the-future.html, www.europarc.org/news/2016/… /parks-of-the-future/, www.cipra.org

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