Schillers Wege in Thüringen

Natürlich ist Weimar ganz groß, wenn es um Klassik und auch um Friedrich Schiller geht. Das war nicht immer so, wie der Spurensucher in Thüringen erfährt. Auf dem Weg nach Weimar lohnen sich Abstecher nach Bauerbach und Jena.

Bauerbach

Johanna hat braune Zöpfe, ihre dunklen Augen blitzen, als sie dem Mann im Radlerdress den Helm entreißt. „Mein ist der Helm und mir gehört er zu!” Weltentrückt deklamiert die Jungfrau auf der grünen Wiese ihren Monolog von Krieg und Heldentum. Es ist Probe im Bauerbacher Naturtheater. Und Katja Lüdicke spielt im Schillerjahr Schillers „Johanna von Orleans”. Die junge Frau ist Diplomingenieurin für Landschaftsnutzung und nur in ihrer Freizeit Heldin. Wie all die anderen auch, die in Bauerbach auf der Naturbühne stehen, hat Katja Lüdicke einen Beruf, der Geld einbringt. Nur Regisseur Peter Kunath ist Profi.
Er wird eine eher traditionelle Jungfrau inszenieren so wie es die Bauerbacher und ihre Gäste mögen ­ und auch die Japaner, bei denen die Theaterlaien schon zu Besuch waren. Experimente überlässt man dem Theater im nahen Meiningen. In Bauerbach kennt (fast) jeder seinen Schiller. Von den 300 Einwohnern gehören 120 dem Theaterverein an, 30 bis 40 stehen auf der Bühne. „Ohne Schiller wären wir nichts”, wissen die Laienschauspieler, die 1959 die Freilichtbühne am Hang mit dem „Wilhelm Tell” eingeweiht haben. Zu Mauerzeiten, als das Dorf im Sperrgebiet lag, war der Tell unerwünscht ­ zu viel Sprengstoff für die roten Machthaber lag wohl in dem Satz „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not und trennen und Gefahr.” Heute kommt das Volk aus Ost und West zu den Aufführungen im Freien. Zwischen 8000 und 10\x0e000 Zuschauer sind es pro Jahr ­ ein Segen für das Dorf und eine späte Wiedergutmachung Schillers. Denn der Dichter hat in Bauerbach vor allem Schulden hinterlassen. Davon ist heute keine Rede mehr. Längst ist der einst mittellose Flüchtling zum Nationalhelden aufgestiegen.
Für den Autor den Räuber war das Haus der Henriette von Wolzogen in Bauerbach ersehnter Zufluchtsort: „Endlich bin ich hier, glücklich und vergnügt, dass ich am Ufer bin”, schrieb er seinem Freund Andreas Streicher, der ihn auf der Flucht aus Stuttgart begleitet hatte (siehe nächste Seite). „Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges Gebäude.” Das „artige Gebäude”, in dem Schiller von Dezember 1782 bis Juli 1783 lebte und arbeitete, ist heute Gedenkstätte. Eine Führung gibt es nicht: die ABM-Stelle wurde vor kurzem gestrichen. So muss der Besucher allein auf Zeitreise gehen. Der Blick ins karge Schlafgemach im ersten Stock ist wohl wie damals. Doch das Bett ist nicht aufgeschüttelt ­ Schiller kommt nicht mehr.
Dr. Ritter nannte sich der Flüchtling, der nach 45 Stunden Kutschfahrt völlig durchgefroren hier ankam und sich darüber freute, dass sein neues Heim „schon aufgeheizt” war. Inspirierte ihn die Einsamkeit in Bauerbach zunächst, wurde sie ihm bald zur Last und der Meininger Bibliothekar Wilhelm Reinwald zum Retter aus der Not. Der pedantische Junggeselle, der später Schillers ältere Schwester Christophine ehelichte, besorgte dem Dichter nicht nur Bücher aus der Schlossbibliothek, sondern auch Papier, Feder, Tinte.
Schiller war fleißig ­ an der Fassade des Gasthauses zum Braunen Roß ist heute noch ein Spottgedicht aus seiner Feder zu lesen ­ unter dem Pseudonym Simeon Krebsauge. Doch manchmal musste er raus aus dem Dorf. Dann wanderte er die 10,5 Kilometer ins Residenzstädtchen Meiningen. Heute führt der „Schiller-Wanderweg” vorbei an der Müllhalde und entlang der Autobahn. Im Lauf des Schillerjahres sollen Skulpturen Schillers Spruch „weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert” ästhetisch umsetzen. In Meiningen schlüpft Robin Kuschinski gelegentlich ins Schillerkostüm. Der 24-jährige Student der Elektrotechnik hat mit dem Vorbild die Charakternase und den blonden Haarschopf gemeinsam.
1788 kehrte Schiller noch einmal nach Meiningen zurück, um Schwester und Schwager zu besuchen. Damals fand er in Bauerbach den Charme nicht mehr, den das Dorf fünf Jahre vorher für ihn hatte. Aber über Bauerbach ritt er mit Wilhelm von Wolzogen gen Rudolstadt, den Lengefelds und einem neuen Kapitel in seinem Leben entgegen.

Jena

Christine Theml lacht gern und sie rezitiert auch gern Gedichte. Die 54-Jährige ist der gute Geist in Schillers Gartenhaus in Jena ­ auch einer Schiller-Gedenkstätte. Die Kulturwissenschaftlerin erweckt das Schiller-Haus zum Leben. Zwar gibt es die von Schiller gerühmte „freundliche Aussicht ins Tal der Leutra” nicht mehr ­ Schillers Gartenhaus ist von Häusern umstellt ­ aber im Garten blühen Vergissmeinnicht und Immergrün. Hier also hat Schiller mit Charlotte und den zwei Söhnen gelebt. Die kleine Küche existiert noch ­ weitab vom Haus, weil der Hausherr keine Küchengerüche mochte. Auch den steinernen Tisch gibt es noch, über den Goethe schrieb: „An diesem alten Steintisch haben wir oft gesessen und manches gute und große Wort miteinander gewechselt.”
Das Turmhaus, genannt Gartenzinne, in dem die Jungfrau von Orleans, Maria Stuart und Teile von Wallenstein entstanden sein sollen, ist jedoch ein originalgetreuer Nachbau. Der ursprüngliche Turm war schon zu Goethes Lebzeiten abgerissen worden, obwohl sich der Freund für ein „Schiller-Museum” an diesem Ort eingesetzt hatte. Seit 1979 ist alles so, wie Goethe es sich vorgestellt hatte: „Hierzu wünscht ich nur einen Stuhl, einen kleinen Tisch, dessen er sich bedient. Vielleicht Tintenfass, Feder oder irgendeine Reliquie.\x0e.\x0e. .anständig und zierlich aufgestellt.” Auch Schillers Büste fehlt nicht.
„Friedrich, du bist unser Abgott”, haben Besucher im Gästebuch notiert oder „Ein bisschen Schiller schadet keinem”. Gelobt haben die meisten den „Ort der Heiterkeit, mit Liebe gepflegt”. Das freut Christine Theml, die seit 17 Jahren Besucher durchs Haus führt. Im Schillerjahr sind es mehr denn je: 1099 kamen allein im März, 2004 waren es zur gleichen Zeit gerade mal 340. Sie alle wollen Schillers Arbeitszimmer sehen und die faulen Äpfel, ohne die der kränkelnde Dichter nicht schreiben konnte. Die besten Ideen hatte er nachts, dann sahen Studenten der Universität ihren Professor oft bei Kerzenlicht ruhelos auf und ab wandern.
1789 hatte der ewig klamme Dichter auch auf Goethes Betreiben eine Professur in Jena erhalten ­ ohne Entgeld. Die Studenten waren in Aufruhr: der Autor der Räuber als Professor! Über 400 der damals 800 Studenten wollten Schillers Antrittsvorlesung hören und man musste in einen größeren Hörsaal umziehen. „Ich zog durch eine Allee von Zuschauern ein und konnte den Katheder kaum finden”, schilderte Schiller seinem Freund Körner den Empfang in Griesbachs Auditorium.
Vier Mal ist Schiller in seinen zehn Jenaer Jahren umgezogen. Er würde die Stadt heute kaum wiedererkennen. Zwar wurde die Altstadt nicht abgerissen, wie es Mitte der 60er Jahre geplant war, und mit Plattenbauten bestückt. Aber der runde Intershop-Turm des Architekten Hermann Henselmann überragt heute alles, auch die Keimzelle der Universität, das Collegium Jenense, wo heute das Institut für Humangenetik und Anthropologie untergebracht ist. Dafür hat man vom 135 Meter hohen Turm einen fantastischen Rundblick auf Jena und Umgebung. Auf den Jenzig beispielsweise, den Schiller in dem Gedicht „Der Spaziergang” pries.
Jena hat nicht nur eine Friedrich-Schiller-Universität und eine Schiller-(Einkaufs)-Passage, sondern auch eine Schiller-Kirche. In der Kirche „Unserer lieben Frau” in Wenigenjena heiratete Schiller am 22. Februar 1790 und seither ist die kleine Dorfkirche mit dem großartigen Chor Pilgerstätte der Schiller-Gemeinde und beliebte Hochzeitskirche. Dabei war die Zeremonie mehr als schlicht. „Niemand war bei der Trauung zugegen als meine Mutter und Caroline”, schrieb Charlotte von Lengefeld in ihren Erinnerungen: „An Schillers Hand trat ich in die schmucklose Kirche und legte das Gelübde ab, ihm treu zu bleiben bis in den Tod.” Dieses Gelübde hat sie erfüllt.

Weimar

Ingrid Lindauer liebt Weimar und die Liebe zur Stadt hat sie zum Beruf gemacht. Als Stadtführerin ist die lebhafte weißhaarige Dame mit Schillers Leben und Tod vertraut. Mit der ersten bescheidenen Bleibe am Frauenplan und mit dem Haus an der Esplanade, heute Schillerstraße, in dem der frisch geadelte Dichter

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