Da hat’s glatt einen Münchner nach Coburg verschlagen – der Liebe wegen. Und was macht er da? Will eine Schaubrauerei aufmachen im Bierland Franken. Klingt so wie Eulen nach Athen zu tragen. Stimmt aber nicht. In Coburg, wo die meisten europäischen Königshäuser ihre Wurzeln haben, wo Luther auf der Veste ein halbes Jahr lang eine sichere Zuflucht hatte, wo die Loreley ein Gasthaus ist und ein Mohrenkopf das Stadtwappen ziert, fließt das Bier zwar in Strömen, aber gebraut wird anderswo, seit die letzte Brauerei (im 19. Jahrhundert waren es zeitweise 43 Brauereien bei 145 000 Einwohnern!) um die Jahrtausendwende verschwand. Das will Markus Timm – dunkler Zopf, weißblaues Hemd – ändern. Der 46-jährige Sohn eines amerikanischen Vaters und einer deutschen Mutter ist überzeugt davon, dass er für sein Vorhaben „viel Wissen abschöpfen“ und „Identifikation schaffen“ kann. 100 000 Euro will er investieren, um im denkmalgeschützten Nachbarhaus der Gastwirtschaft „Brauhaus“ eine echte Brauerei einzurichten, in der auch „Fremdbrauer“ willkommen sind. Bis dahin zapft der freundliche Münchner in der Traditionswirtschaft noch Bier aus der Kulmbacher Brauerei – und das in einer Stadt, die ihr Bier vor 100 Jahren bis nach Amerika exportierte. Mit dem Export hatte es Coburg ganz offensichtlich. Auch die ansehnlichen Töchter des örtlichen Herzoghauses wurden erfolgreich exportiert und sorgten dafür, dass man in höheren Kreisen mit den meisten Königshäusern verwandt war. Und so logierte auch Queen Victoria – ihr Gemahl Albert war Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha – des Öfteren in Schloss Ehrenburg, wo sie sich im üppig dekorierten Riesensaal von Schloss Ehrenburg sogar mit Österreichs Kaiser Franz-Joseph traf. Für ihre persönlichen Bedürfnisse hatte sich die früh verwitwete Majestät ein Wasserklosett aus England mitbringen lassen – das erste auf dem europäischen Festland. Ob Victoria gerne Bier getrunken hat ist nicht überliefert. Auch von Martin Luther weiß man das nicht so recht. Der rebellische Mönch soll aber den Freuden des Lebens durchaus zugeneigt gewesen sein. Auf der Veste Coburg wird im Lutherzimmer ein Glas aufbewahrt, aus dem der Legende nach die Heilige Elisabeth getrunken hat und das wohl vor 1000 Jahren in Damaskus hergestellt wurde. Fürs profane Biertrinken also viel zu schade. Dafür kann man auf der Veste in der großen Glassammlung Bierkrüge bewundern, aus denen der Gerstensaft vorzüglich mundete. Das fanden wohl auch die edlen Recken im Mittelalter. 1567 jedenfalls wurden, so wird kolportiert *, für 110 Ritter und elf Stadträte bei einem achttägigen Landtag 200 Eimer Coburger Doppelbier, 60 Eimer Weizenbier, vier Fässer Coburger Hofbier und zwei Fässer Frankenmooser Bier beschafft. Und dass Wallenstein an der Veste scheiterte, soll ebenfalls dem Coburger Bier zu verdanken sein, das die Verteidiger unter Konstabler Konrad Rüger * so mannhaft genossen: „Und wenn der Mut zu sinken droht‘,/Dann sprach er zur Besatzung:/Wir halten aus und bleiben hier/Und wär’s nur um das Coburger Bier“ reimte später ein Dichter. Burgen und Bier gehören hier im Frankenland irgendwie zusammen. In Kulmbach ist das Bier ohne die Burg nicht einmal denkbar. Denn die kühlen Stollen der Plassenburg dienten den Brauern als Kühlkeller für ihr Bier. Und die auf der Burg residierenden Hohenzollern legten auch fest, wann Bier gebraut werden durfte. Auf keinen Fall dann, wenn die Überreste der gräflichen Abtritte den Fluss verunreinigten. Solche Hygienevorschriften sorgten dafür, dass Bier im Mittelalter als gesundes Lebensmittel galt. Kein Wunder, der Gerstensaft war sauberer als Wasser und wurde auch schon den Kindern verabreicht. Solcherlei Geschichten kann man im Brauereimuseum erfahren, wo die Ausstellungsmacher mit Akribie die Geschichte des Gerstensafts von den Ursprüngen in Mesopotamien vor 5000 Jahren bis heute nachzeichnen. Zu sehen sind nicht nur banale Trinkgefäße. Eines der wichtigsten Ausstellungsstücke ist eine 3000 Jahre alte Bieramphore aus der Umgebung Kulmbachs – der älteste Hinweis auf Bierbrauen in Deutschland. In den einzelnen Abteilungen kann man nicht nur riechen und sehen, sondern auch schmecken, was Bier zu einem traditionsreichen und populären Getränk macht. Denn zum Ende der Führung gibt’s ein Glas Museumsbier. Brauerei-Platzhirsch ist die Kulmbacher Brauerei AG, unter deren Dach die ehemals eigenständigen Brauereien Reichelbräu, Sandlerbräu, Mönchshof und EKU vereint sind. Frank Stübinger – sehnig, blonder Zopf, weißes Shirt – ist das zu wenig. Stübinger ist Wirt im Kulmbacher Kommunbräu, das er als „Protestbewegung“ bezeichnet – gegen den Einheitsbrei beim Bier. Geboren wurde die Idee zur Genossenschaftsbrauerei natürlich an einem Stammtisch. Und weil Bier „durch Kulmbach wabert“, wie der studierte Betriebswirt aus eigener Erfahrung weiß, blieb’s nicht beim Stammtisch-Gerede. 442 Genossen, darunter der Chefredakteur der Bayerischen Rundschau, zahlten 4300 D-Mark für die Aktie und machten so die Kommunbräu in einer ehemaligen Getreidemühle möglich. 1994 wurde hier das erste Bier ausgeschenkt. Seit 14 Jahren ist Stübinger, Jahrgang 1970 und in der wilden Jugend in einer Punkband engagiert, Wirt im Traditionsgasthaus. Ein erfolgreicher wie man an den gut besetzten Tischen drinnen und draußen sieht. Neben dem klassischen Hellen und dem Bernsteinfarbenen „machen wir alles, was man mit Bier anstellen kann“, sagt der dreifache Vater. Allerdings nur nach dem Reinheitsgebot. Sein Lieblingsbier ist der „Kommunator“, ein „erstklassiges fettes Bier“, das überhaupt nicht in den Zeitgeist passe. Aber: „Bock ist halt Kult.“ Lange haltbar ist das handgemachte Bier nicht. Macht nichts, meint Stübinger: „Es ist immer alle, ehe es schlecht werden könnte.“ Dass Markus Timm in Coburg eine Braumanufaktur plant, hat er auch schon gehört. Eine gute Idee, findet er. Denn Bier gehört einfach dazu zur vielgerühmten fränkischen Gasthauskultur. *Die historischen Informationen zum Coburger Bier habe ich im Internet gefunden – unter http://www.ernesto-albertina.de/
11Aug. 2014