Autor: J.K. Rowling, Klaus Fritz
Verlag: Carlsen Erschienen: 01. Oktober 2005 |
Im Kino muss Harry sich noch im trimagischen Turnier beweisen, im Hörbuch ist er schon zwei Runden weiter. Nach neuneinhalb Tagen ist „Harry Potter und der Halbblut-Prinz” im Kasten, ein Ein-Mann Stück mit Rufus Beck, das für viele Fans weitaus besser ist als jeder Film. Denn Beck setzt Maßstäbe. „Die Figuren sind einfach satter,” sagt er, „das Auge verwässert”.
„The word greatest“ steht auf dem Shirt ein Lob des Wortes. Das passende Motto für Rufus Beck, der davon lebt, Worte zum Leben zu erwecken. Stimmen-Magier haben sie ihn genannt, Verbal-Jazzer, Klangmeister, König der Vorleser. Der schlaksige Schauspieler, der mit dem widerspenstigen dunkelblonden Haarschopf eher wie ein älterer Bruder von Ron Weasley wirkt, liebt den Klang der Sprache und er spielt mit ihr wie ein Magier mit seinen Karten. Immer neue Töne zaubert der 48-Jährige aus seiner Trickkiste er gluckst und faucht, brüllt, und säuselt, kiekst und krächzt. Und nirgendwo konnte er so souverän seine Künste ausspielen wie in der großen Potter-Partitur.
Die Hörbücher zu Harry Potter haben aus Rufus Beck eine Berühmtheit gemacht: Hörbuch des Jahres 2000, vier Goldene Schallplatten 2001, vier Mal Platin 2002 für jedes der vier Harry-Potter-Hörbücher. Alle Hörbücher haben sich schätzungsweise zweieinhalb Millionen Mal verkauft.. Im Hörbuchsektor so etwas wie ein Quantensprung. „Wahrscheinlich ist Harry Potter nicht mehr zu toppen,“ glaubt der bekennende „erste Potterianer” Beck. Es ist wie verhext: Alles, was mit dem Zauberlehrling zu tun hat, wird zum Rekord-Erfolg. Nachdem es beim fünften Band ein paar Misstöne im Vorfeld gab (er lese nicht, hieß es erst, er las dann doch), hat er jetzt den sechsten Band gesprochen in einem neuntägigen Vorlese-Marathon.
„Harry Potter hat viel mit mir zu tun“, bekennt der 48-jährige bei einem Gespräch im Tonstudio Giesing Team und wippt mit den klobigen Wanderstiefeln. Draußen fällt der erste Schnee. Drinnen ist es angenehm warm. Milchkaffee dampft in den Tassen. Beck kramt in seinen Erinnerungen: „Ich weiß wie Harry sich in Hogwarts fühlt, weil ich das selbst erlebt habe.“ Einzelkind war er, seine Eltern waren viel unterwegs und glaubten den Jungen im Internat gut aufgehoben. Später studierte er in Heidelberg Islamwissenschaft, Ethnologie und Philosophie, zur Schauspielerei kam er eher zufällig. Beck gab den Franz Mohr in Schillers „Räuber“ und bekam für die „Waltraut“ in Sönke Wortmanns Film „Der bewegte Mann“ einen Bambi. Man sah in bei Derrick und dem Alten und als Inspektor Rollo in SAT 1.
„100 Prozent sind Minimum“ steht auf seiner Homepage. Auch das passt. „Ich versuche immer mein Bestes zu geben,“ sagt er und: „Wir können mehr als wir uns zutrauen.“ Er nippt an seinem Milchkaffee und grinst spitzbübisch über den Tassenrand. „Ich schreib‘ solche Merksprüche auf und hänge sie mir an die Pinnwand.“ Zum Beispiel: „Du kannst die Hosen runterlassen aber du darfst niemals das Gesicht dabei verlieren“. Wie das? Wieder das spitzbübische Grinsen: „Man kann sich entblößen oder eine Blöße geben, wenn man es aus Überzeugung oder zumindest bewusst tut.“ Das bedeutet auch, zur eigenen Unzulänglichkeit zu stehen. Er ist gerne mit Menschen zusammen, die zu sich stehen.
John Irving ist so einer. Der amerikanische Autor ist sein „hero“. „Garp und wie er die Welt sah“ war als Hörbuch ein Riesenerfolg. Becks Ziel ist es, alle Irvings „zu machen“. Unter Machen versteht der Perfektionist sich total einzubringen. Was immer er liest, er macht was draus. Die Potter-Hörbücher sind bestes Kino im Kopf.
„Ich hätte das nie machen können, wenn ich keine Kinder hätte,“ fällt ihm ein. Seine Interpretation sei nur mit viel Spaß und Lockerheit möglich gewesen und dabei habe erimmer seine Kinder vor Augen gehabt. Nathalie (23), Sarah (15) und Jonathan (13) sind seine ersten kritischen Zuhörer. „Nur wer Kinder hat, versteht etwas von Kindern und kann mitreden,“ ist er überzeugt. Harry ist für ihn ein Kind, ein liebenswertes dazu. „Und er wird immer Kind bleiben, weil „er keine Eltern hatte, die ihm eine Kindheit ermöglicht haben. Ohne Kindheit kann man nicht erwachsen werde.”
Die Zeit mit Harry im Studio fasziniert den Muggel Rufus Beck immer wieder. Denn dann kommt es zu den „magischen Momenten, wenn ich mich selbst über meine Kopfhörer höre”. Seine Stimme gibt jeder Figur (derzeit sind es etwa 150!) ihr Eigenleben, ihr eigenes Idiom und wie beim Schreiben entwickeln sich die Figuren weiter, verändern sich, werden reifer.
Beck probt nicht, seine Interpretation entspringt der Intuition. „Es ist ja nicht so, dass eine Art Voodoo-Zauber in mich fährt,” versucht er zu erklären, „aber meine Stimme verändert sich am Mikrofon.” Und wie. Im Gespräch hört er sich angenehm unauffällig an. Nichts da von tausend Untertönen. „Vielleicht ist das wie bei einem Foto-Modell, das auch erst vor der Zweidimensionalität der Kamera zu etwas besonderem wird. Vielleicht bin ich einfach audiogen wie andere Menschen fotogen sind.”
Dass mehr Menschen seine Stimme kennen als sein Gesicht bestreitet er. Rufus Beck ist nicht nur Vorleser, er ist Schauspieler und er liebt die Bühne und den „Tanz mit dem Publikum”. „Richtig gut bin ich live,” versichert er und berichtet von einem Jules-Verne-Theaterprogramm, bei dem er den Roman „Von der Erde zum Mond” spielt. „Die Figuren treten aus dem Moderator heraus und wieder zurück,” erklärt er und springt auf, um zu zeigen, wie er sich das vorstellt. Da blitzt sie für einen Moment auf, die Verwandlung des Rufus Beck. Von einem Mann der leisen Töne in Cargo-Jeans in einen Wortakrobaten.