Kaum sind sie losgelassen, weg aus dem provinziellen Umfeld des norditalienischen Vigevano, geraten der kauzige Witwer Perségati, der aufbrausende Bonvivant Luciano und Ich-Erzähler Cesare außer Rand und Band. Die mitreisenden Frauen, frühzeitig verknöchert, können dabei nur zusehen und sich mit Gebeten gegen die anbrausenden Gefühlsräusche ihrer Angetrauten wappnen. Hinzu kommt, dass Verleger Cesare glaubt, einen Freund aus alten Zeiten entdeckt zu haben, den schwulen Star-Autor, der zu einer Ehekrise geführt hatte.
Während das Trio Infernale von einer Peinlichkeit in die andere stolpert, wird Cesare schmerzhaft klar, wie sinnentleert sein Leben ist. Da hilft dann nur ein bisschen Cannabis, das der Arzt dem 73-Jährigen wegen seiner MS verschrieben hat und das der mustergültige Sohn dem Vater zähneknirschend besorgt. Mit Cesares Suche nach dem verlorenen Freund wird der abgefahrene Road-Trip der Oldies immer mehr zu einem Krimi. Dann verschwindet auch noch Luciano spurlos und Perségati verrät dem konsternierten Cesare ein pikantes Geheimnis.
Am Ende kommen die Kinder, um ihre Eltern abzuholen – und angesichts der Arroganz der Jugend läuft Cesare noch einmal zu großer Form auf: „Wir sind alt. Wir sind steinalt. Wenn nicht gar Greise, wir haben uns selbst überlebt. Wir sind tot, wir stecken in Körpern, die sich aufgrund eines Wunders noch von selbst bewegen… Irgendwann ist es aus. Und für jemanden in meinem Alter ist das genauso schockierend wie ein bewölkter Himmel nach einer Woche Sonnenschein.“
Piersandro Pallavicini, Jahrgang 1962 und – wie seine Rentner-Gang – aus Vigevano, ist eigentlich Chemiker und Experte für Nanotechnologie an der Universität von Pavia. Laut Welt mischte er Anfang der Neunzigerjahre „in der Undergroundszene mit, debütierte im Umfeld der Vertreter von Pulp und Trash.“ Seine Vorliebe für Drastisches und Schrilles begleitete auch sein Debüt als Autor. Sie ist auch in diesem Buch zu spüren, in einer oft zotigen Sprache und derben Sprüchen. Trotzdem, diese italienische Milieustudie hat’s ins sich – und liefert auch so manches, das nachdenklich macht.
Beispiel gefällig: „Ich bin allein unterwegs, gehe nach Belieben über Straßen und Gassen, mit hoch erhobenem Kopf und kräftigen Beinen, wie immer am frühen Vormittag. Was für ein Tag. Was für eine Sonne. Herrlich, sie ist weiß und steht tief am Himmel, kristallklar wie die Luft. Eine freundliche und widerwärtige Sonne, genauso wie das Lächeln der unbekannten Personen, denen ich auf der Straße begegne. Ich erwidere es mit einem freundlichen Nicken, man lächelt mich an, weil ich ein eleganter, gut gekleideter älterer Herr mit verlorenem Blick bin. Ich flehe Sie an: Lächeln Sie niemals einen Herrn an, bloß weil er silberweiße Haare hat und gut gekleidet ist. Niemals. Nicht einmal, wenn er einen gebrechlichen, mumifizierten Eindruck erweckt. Nicht einmal, wenn er wackelige Beine hat. Lassen Sie ihn in Ruhe. Vielen Dank.“
Info: Piersandro Pallavicini, Ausfahrt Nizza, Folio Verlag, 295 S., 22,90 Euro
09Mai. 2014