Auf Zeitreise mit dem Royal Scotsman

Die Fahrt mit diesem „Landhaus auf Rädern“ ist eine überaus komfortable Zeitreise und für viele Passagiere ein Erlebnis, das sie sich einmal im Leben gönnen wollen. Zum 50. Hochzeitstag wie das reizende ältere Paar aus dem Süden Englands, das hinterher noch auf Kreuzfahrt geht, zur Silberhochzeit wie Wendy und Jo aus Boston, die nach Irland zur Tochter weiterreisen, zum runden Geburtstag wie eine der unternehmungslustigen Australierinnen, die auf den Spuren ihrer Ahnen unterwegs sind. Es gibt viele Gründe, einmal mit diesem legendären Zug zu fahren. Und nicht der schlechteste ist, Schottland auf andere Art kennenzulernen. Das Quartett aus Holland hat schon die „klassische Tour“ mit einer erlesenen Whiskey-Probe an Bord hinter sich, und die Engländerin Gillian hat die gemeinsame Reise mit ihrem Mann Dave in die Highlands zu Weihnachten bekommen.
Im Hotel Balmoral in Edinburgh, wo in gepflegter Atmosphäre alle Formalitäten erledigt werden, fremdeln die einzelnen Teilnehmer noch ein bisschen. Man übt sich in Small Talk, bleibt aber auf Abstand. Das wird sich schnell ändern, auch dank des Alkohols, der im Royal Scotsman in Strömen fließt, und dank des allzeit freundlichen Personals, dem kein Wunsch zu exotisch ist.
Schon im Bahnhof (Edinburgh Waverly Station) meldet sich die Tradition lautstark: Ein Dudelsackspieler geleitet die Passagiere zu ihrem Sonderzug, der mit seinem royalen Schriftzug in Gold auf Bordeaux-rotem Untergrund ins Auge sticht. Zugmanager Fredrik, blond und jungenhaft, empfängt auf dem roten Teppich jeden Gast mit Handschlag und einem Glas Champagner. Und schon ist die Stimmung gelöst, findet sich die Genussgemeinschaft zum fröhlichen Eintrinken.
Im Abteil dann Schottenkaro auf dem Boden und im Bett, Troddeln am Vorhang, Blumen auf dem Schreibtisch. Erstaunlich groß das Bad mit Dusche und WC. Während draußen eine von filzigem Gras überzogene und von wollig-weißen Schafen gesprenkelte karge Landschaft vorüberzieht, während die Berge ganz nah an den Zug rücken und sonnengelber Ginster die Gleise säumt, steigt die Stimmung im „Observation Car“, kurz ObsCar genannt, dem Herz des Zugs. Hier im Panoramawagen sitzt man zusammen, trinkt ein Gläschen, plauscht mit diesem oder jener und schaut durch die großen Fenster hinaus auf eine fast grimmige Natur, die unter tiefhängenden Wolken so dramatisch wirkt wie eine Szene aus Macbeth.
Zum Dinner (informal am ersten und zweiten Abend) haben sich die Damen umgezogen und die Herren das Sakko aus dem Schrank geholt. Chefkoch Mark  Tamburinni, trotz seines Namens ein typischer Schotte, hat in seiner kleinen Küche ein feines Drei-Gänge-Menü gezaubert. 540 Eier hat er für den Dreitages-Trip im Vorratswagen, 20 Körbchen mit Erdbeeren, 60 bis 80 Flaschen Champagner. Alles muss sicher in den Regalen verstaut sein, wenn der Zug fährt. Allein das ist eine logistische Herausforderung. Neun Varianten für Vorspeise, Hauptgericht und Dessert hat Mark sich ausgedacht. Da ist für jeden Feinschmecker etwas dabei. Und wenn nicht, dann hat der Maitre ein offenes Ohr auch für ausgefallene Wünsche und ein großes Netzwerk von Zulieferern. Es muss ja nicht gleich eine ganze Dose Kaviar sein, wie sie sich Brian Johnson von AC/DC wünschte.
Zur Abendunterhaltung im ObsCar gibt’s schottische Lieder mal mit Geige und Akkordeon, mal mit der schottischen Harfe, der Clàrsach. Dazu immer wieder spektakuläre Highland-Ansichten vor den Fenstern. Und während die einen im stehenden Zug schon selig schlummern, feiern die anderen noch bis in den frühen Morgen. 50 Sorten Whiskey stehen in der Bar. Wer die alle ausprobieren wollte, müsste mehrere Touren mitmachen. Nur ein Gast hat es bisher geschafft, an drei Tagen 30 verschiedene Whiskeys auszuprobieren.
Den Ehrgeiz scheint diesmal niemand zu haben. Dafür sind untertags die besten Aussichtsplätze gefragt und so mancher gerät in einen wahren Foto-Rausch, als der Royal Scotsman sich dem Glenfinnan-Viadukt nähert, besser bekannt als Harry-Potter-Bridge und nicht nur deshalb ein „Must-see“. Wirkt doch auch die Landschaft mit Bergen, Glen und Loch wie verzaubert. Auch bei den Ausflügen kommen die Zugpassagiere filmreifen Kulissen ganz nahe, können sich hineinträumen in Szenen des Highlanders oder denken am puderweißen Strand von Loch Morar an die Cleverness des Local Hero in der gleichnamigen Öko-Komödie.
Echte Geschichte geschrieben hat Bonnie Prince Charlie 1745 mit seinem verunglückten Versuch, Schottland für die Stuarts zurückzuerobern. Den Schotten erwies der hübsche Prinz damit einen Bärendienst, wie Ray Owens vor dem Denkmal des „hübschen Prinzen“ am Loch Shiel den Reisenden erklärt. Der 65-jährige Schotte gibt als Gästeführer den Highlander und macht aus seiner Abneigung gegen alles Englische kein Hehl. „Die Schotten mögen uns nicht“, sagt Dave später im ObsCar, „für sie sind wir Sassenachs.“ Und von Sachsen wollen sich die stolzen Highlander bis heute nichts sagen lassen. Ray Owens hofft deshalb, dass möglichst viele beim Referendum im September für die Unabhängigkeit Schottlands stimmen.
Steven, der Gentleman-Zugbegleiter, trägt zwar am letzten Abend (formal) den traditionellen Kilt, ist aber ein Gegner des Separatistenchefs Alex Salmond und als stolzer Schotte der Überzeugung: „England braucht Schottland“. So schleicht sich klammheimlich die Politik in die königliche Reise.
Am letzten Tag noch ein Ausflug zu Mount Stuart auf der Insel Bute, einem schlossähnlichen neugotischen Bau mit einer riesigen Marmorhalle im Zentrum, die von einem gemalten Sternenhimmel gekrönt wird. Im 1. Weltkrieg war das Haus Lazarett, operiert wurde im Wintergarten und geschlafen in der „Marble Hall“. So mancher Verletzte, erzählt Schlossführerin Norma, habe beim Aufwachen in den gemalten Himmel geblickt und gemeint, er sei schon nicht mehr von dieser Welt.
Die Zeitreisenden im Royal Scotsman aber kommen dieser Welt immer näher, als der Zug in Waverly einfährt. Im ObsCar hat man sich von den Freunden auf Zeit verabschiedet, draußen steht das inzwischen vertraute Personal aufgereiht und lässt sich drücken. Und dann ist alles vorbei. Das Gepäck ist ausgeladen. Kein roter Teppich, kein hilfreicher Geist, der sich der schweren Koffer annimmt. Die Passagiere sind zurück im Alltag und die guten Zeiten im Royal Scotsman schon Erinnerung.

 

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