Rächer der verlorenen Ehre

Auf dem Titel ist ein stiernackiger Mann von hinten zu sehen. Tobias Knopp, „Das Monster von Neuhausen“. „Protokoll“ nennt Ernst Augustin den schmalen Band. Tatsächlich geht es um die Verteidigung eines Mannes, dem himmelschreiendes Unrecht passiert ist und der sich mit einer Axt gerächt hat. Auch wenn sich der Verteidiger in seinem mäandernden Plädoyer immer verhaspelt und den Tathergang mit abstrusen Gedankengängen verkompliziert, hat es für alle, die Krankenhauserfahrung haben, Wiedererkennungswert. Denn klar wird: Der Schreibwarenhändler Knopp, der später zum Monster wird, ist zunächst Opfer. Ein Opfer der Krankenhausdiktatur: Einer der Götter in Weiß, ein Professor, hat ihm bei der Entfernung eines gutartigen Gehirntumors den Sehnerv durchschnitten. Nicht genug damit, er demütigt den nun „hirnblinden“ Patienten, indem er ihn seinen Studenten als Simulanten vorführt. Knopp fühlt sich seiner Ehre beraubt und nimmt Rache. Für seinen Anwalt nicht nachvollziehbar. Denn was ist das, Ehre? Eine sinnlose Form? Auf alle Fälle eine ganz persönliche Angelegenheit. Der Verteidiger führt sich selbst ad absurdum. Seinem Mandanten ist wohl nicht mehr zu helfen.
Ebenso wenig wie dem 87-jährigen Autor selbst. Der promovierte Mediziner und langjährige Weltenbummler hat vor ein paar Jahren die Operation, die er in diesem Büchlein schildert, selbst durchlitten und dabei sein Augenlicht fast völlig verloren. Und er hat eine ähnliche Erfahrung gemacht wie Tobias Knopp. „Der Operateur war ein Pfuscher, der seinen guten Ruf darauf aufbaute, alles zu leugnen, was ihm schiefging“, sagte Augustin in einem SZ-Interview. Der Schriftsteller braucht keine Axt, um sich zur Wehr zu setzen. Seine Rache ist subtiler. Er lässt den Anwalt das ganze Chefärztesystem an den Pranger stellen: „Eine Chefvisite ist ein großes kosmisches oder fast kosmisches Ereignis mit allen Zeichen… Als halte die Menschheit den Atem an… Nein, es ist nicht Gott, der kommt, wir müssen das auseinanderhalten, nicht Er kommt, aber er kommt. Der Chefarzt.“
Man sieht, dieses Protokoll hat es in sich!
Info: Ernst Augustin, Das Monster von Neuhausen, C. H. Beck, 116 S., 16,95 Euro

 

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