Mann sei dank: Das Waldhotel in Davos zehrt von seiner Geschichte und lebt die Gegenwart

„Der Zauberberg hat die Davoser sehr geärgert. Das Buch hat in Davos Anstoß erregt, weil es den Anschein erweckte, als ob junge Leute aus reichen Familien, eingefangen von der Atmosphäre des Sanatoriums und den Annehmlichkeiten dieser Existenz, festgehalten würden, wo sie schon nicht mehr so krank waren, und nur wegen des Geschäftlichen und der Ungebundenheit viel länger blieben als sie eigentlich wollten. Der Hofrat spricht vom Sanatorium doch manchmal wie von einem Lustschlösschen.“      Katia Mann in „Meine ungeschriebenen Memoiren“
Heute ist Thomas Manns „Zauberberg“ in Davos, der höchst gelegenen Stadt der Alpen, schier allgegenwärtig.
Es gibt ein Hotel Zauberberg und ein China-Restaurant Zauberberg. Das
Hotel Schatzalp, das derzeit mit einem geplanten Turmbau von sich reden
macht, beruft sich auf  den großartigen Roman und das Waldhotel Davos
hat sich gerade eben wieder in seiner neuen alten Geschichte
eingerichtet. Hier nämlich, über den Dächern von Davos, hat Katia Mann
1912  jenen Sanatoriumsaufenthalt genossen, der ihren Mann bei einem
Besuch in Davos zum Zauberberg inspiriert hat. Und warum sollte man den
Nobelpreisträger nicht als Werbeträger einspannen, dachte sich
Hotelbesitzer Baron Wolf-Eckart von Gemmingen, wenn Mann schon mal da
war.
Unser Sanatorium liegt noch  höher als der Ort, wie du siehst“,  fuhr
Joachim fort. „Fünfzig Meter. Im Prospekt steht hundert, aber es sind
bloß fünfzig. Am allerhöchsten liegt das Sanatorium Schatzalp dort
drüben, man kann es nicht sehen. Die müssen im Winter ihre Leichen per
Bobschlitten herunterbefödern, weil dann die Wege nicht befahrbar sind.“

Die früheren von Gemmingens wollten nichts mehr wissen von Tod und
Tuberkulose – der Großvater des heutigen Besitzers hatte die Immobilie
1911 erworben. „Einfach so“, wie der Enkel nonchalant erklärt. Nachdem
mit Einführung des Impfstoffs gegen Tuberkulose die Hoch-Zeit der
Sanatorien vorüber war, wollte man auch die Erinnerung mit Stumpf und
Stil ausrotten, den Sanatoriums-Mief loswerden. „Damals hat man ein
Vermögen zum Fenster rausgeworfen in Form von Nachttöpfen, Lampen,
Möbeln“, versucht der Baron zu verstehen, was die Vorfahren bei ihrem
Zerstörungswerk umtrieb. Einige Möbel blieben übrig – versehentlich und
zum Glück für das Architekten-Team Pia Schmid und Hans-Jörg Ruch, die
die Geschichte zurück ins Haus brachten mit vielen Anspielungen auf den
Zauberberg.  Dabei gelang ihnen mittels harmonischer Farben und edler
Materialien eine spannende Verbindung von alt und neu. Nicht nur in den
brandneuen Suiten im – neu aufgesetzten fünften Stock – wird die
Landschaft hinter den  hohen Fensterscheiben zum Kunstwerk, scheinen
Licht und Luft keine Grenzen gesetzt zu sein. War es doch die Davoser
Luft, die um die Jahrhundertwende Schwindsüchtige aus ganz Europa in
den Schweizer Kurort brachte.   

„Wie er es sich vorgenommen hatte, atmete Hans Castorp tief die reine
Frühluft, diese frische und leichte Atmosphäre, die mühelos einging und
ohne Feuchtigkeitsduft, ohne Gehalt, ohne Erinnerungen war.“ 
 
 Erinnerungen an die alten Sanatoriumszeiten  wecken heute nur die
Balkone mit ihren filigranen Gitterbögen und den bequemen Liegen, die
Hans Castorp so begeistert hatten. Sie sind im Sommer von der
Behindertenwerkstätte Davos/Chur restauriert worden. Die komfortablen,
ja luxuriösen  Zimmer und Suiten dahinter  haben so gar nichts zu tun
mit den spartanischen Räumlichkeiten, in denen die Patienten einst ihre
Tage verschliefen und von denen eines als Reminiszenz erhalten ist.
Statt Bad im Zimmer gab es Nachttopf und fließend Wasser, aber immerhin
schon Telefon.
Joachim hatte das Deckenlicht eingeschaltet und in seiner zitternden
Klarheit zeigte das Zimmer sich heiter und friedlich, mit seinen weißen
praktischen Möbeln, seinen ebenfalls weißen, starken, waschbaren
Tapeten, seinem reinlichen Linoleum-Fußbodenbelag und den leinenen
Vorhängen, die in modernem Geschmacke einfach und lustig bestickt
waren“.

Andere Zeiten, anderer Geschmack. Heute gehen die Gäste statt auf
Linoleum auf Ahornparkett oder Walser-Quarzitt, statt weißer Möbel
finden sie Schränke und Kommoden aus Nussbaum und die verspielten
Überzüge von Sesseln und Sofas bringen Jugendstil-Fröhlichkeit ins
Haus. Neun Millionen Franken hat  von Gemmingen in das Haus investiert,
einschließlich der Aufstockung auf die Höhe der ehemaligen Dachspitze.
Um die Pläne durchzusetzen, ist der Baron selbst mit dem Modell auf die
Gemeinde gegangen und hat „gebettelt“. Da habe dann niemand 
widersprechen wollen, „zumal sie froh waren, dass einer überhaupt
investiert“.  Die neuen Pläne wurden in acht Monaten umgesetzt –
teilweise waren 100 Leute auf der Baustelle – die alten Pläne hängen
noch im Treppenhaus und  Ansichten des Waldsanatoriums  schmücken die
Gänge.  
So manches hat sich verändert: Wo einst die Patienten vor der
Behandlung in Labor und Operationsräumen zitterten, wird heute in
fröhlich-bunter Atmosphäre getagt. Wo sich einst  das Personal für die
Tagespflicht bereit machte, kosten heute die Hotelgäste vom edlen
Tropfen, den Hotelier und Weinkeller Michael Thormann  vor allem aus
europäischen Anbaugebieten zusammengetragen hat. Und im Restaurant Mann
& Co
(laut Werbeslogan auch für Frau &  So) kocht Urs
Hauenstein
(14 Gault-Millau-Punkte) so ambitioniert als wolle er die
Sterne vom Himmel holen und alle Tage wieder die Wahrheit des  Slogans
„Mann war hier, man isst hier“ beweisen. Genuss war auch zu
Sanatoriumszeiten ein Thema, hatte man doch damals alle Zeit der Welt.

„Das Essen war vorzüglich. Es gab Spargelsuppe, gefüllt Tomaten, Braten
mit vielerlei Zutat, eine besonders gut zubereitete süße Speise, eine
Käseplatte und Obst.“

Wie einst ist das Herzstück des Hauses der Speisesaal, in dem die
Architekten mit viel Mühe die alte Kassettendecke wieder freigelegt
haben. Die – nachgebauten – Jugendstilleuchten verströmen mildes Licht
und an den großen und kleinen Tischen wird  heute wieder in allen
möglichen Sprachen parliert – auch  in Russisch. Am schönsten ist ein
Tisch in der Galerie, wo man aus den Fenstern schauen kann hinunter ins
winterlich überzuckerte  Davos, das den jungen Castorp so verzauberte:

„Klarer Frost herrschte, reine, gesicherte Winterpracht… und das
Panorama hinter den Bogen der Balkonloge, die bepuderten Wälder, die
weichgefüllten Schlüfte, das weiße, sonnige Tal unter dem
blaustrahlenden Himmel, war herrlich. Abends gar, wenn der fast
gerundete Mond erschien, verzauberte sich die Welt und ward wunderbar.
Kristallisches Geflimmer, diamantenes Glitzern herrschte weit und
breit. Sehr weiß und schwarz standen die Wälder. Die dem Monde fernen
Himmelsgegenden lagen dunkel, mit Sternen bestickt.“

So schön kann der Winter in Davos auch heute noch sein. Wenn der Nebel
um die weiß-lackierten Gipfel seinen Schleiertanz aufführt und die
Pisten im Sonnenlicht gleißen, wenn jeder Schwung eine Schneefontäne
aufspritzen lässt und der Davoser See im Tal funkelt wie Bergkristall,
dann fühlt sich auch der Skifahrer oder Snowboarder ein bisschen wie im
Zauberberg – nur viel gesünder.
Im Winter ist das Waldhotel gut gebucht. Sorge macht von Gemmingen und
seinem Hotelierspaar schon eher der Sommer.   „Wenn wir da eine
schwarze Null erwirtschaften, bin ich schon zufrieden“,  sagt der Baron
– auch wenn das Sommerpublikum ein anderes ist. Da ist er Realist. „Von
denen können sie nicht die Preise verlangen wie im Winter“.  Das war
wohl auch zu Zauberberg-Zeiten so, wie Hofrat Behrens verrät:

„Aber schade ist es doch, dass Sie den Winter nicht mitmachen, denn was
so die Hotevolete ist .., die kommt nun erstmal im Winter.“

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