Mann in der Krise: Caryl Phillips‘ „Jener Tag im Winter“

Keith Gordon hat es in England zu etwas gebracht, als Farbiger aus der Karibik. Er ist Dezernent für Rassengleichheit. Privat allerdings lief es nicht ganz so gut. Seine weiße Frau hat ihn samt Sohn verlassen, als er ihr einen One-Night-Stand gestand. Seine aktuelle Affäre hat er gerade zu den Akten gelegt.

Aber er hat nicht mit der Perfidie der verschmähten Geliebten gerechnet,
die all die liebestrunkenen Mails ins Internet und damit Keith vor
allen Kolleginnen und Kollegen bloß gestellt hat. Ein längerer Urlaub
macht Keith die Unzulänglichkeit seines Lebens bewusst, macht ihm
deutlich, was er mit seiner Scheidung verloren hat. Bindungsunfähig
driftet er durchs Leben und sucht Halt bei der jungen Polin Danuta, die
ihn nur benutzt. Sohn Laurie rebelliert derweil gegen die
Aussichtslosigkeit junger Menschen in England. Konfrontiert mit seinem
Versagen als Vater wendet sich Keith dem eigenen Vater zu, den er sein
Leben lang nicht verstanden hat.
So bekommt der alte Einwanderer Gelegenheit, seine Lebensgeschichte zu
erzählen – in einem Slang-Monolog, der nicht leicht zu lesen ist, aber
einiges klärt und Keith zurück auf den Boden der Tatsachen und in den
Schoß seiner Familie bringt. Seinen Job ist er mittlerweile los und ob
er Laurie auf seinem Lebensweg weiterhelfen kann, steht in den Sternen.
Doch zumindest weiß Keith endlich, wo er steht.
Caryl Phillips, laut New York Times einer der „literarischen
Großmeister unserer Zeit“ nutzt sein scharfsinniges Psychogramm eines
Mannes in der Krise als Rahmen für seine Gesellschaftskritik. Da geht es
nicht nur um die Probleme der farbigen Einwanderer gestern und heute,
sondern auch um die Sprachlosigkeit zwischen Jung und Alt, zwischen
Männern und Frauen, Vorgesetzten und Untergebenen. Und natürlich um die
Allgegenwart des Internets. 

Caryl Phillips, Jener Tag im Winter, DVA, 362 S., 21,99 Euro

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