Krise. Was für eine Krise?

Man mag es angesichts der Horrormeldungen, die uns täglich ereilen, gar nicht glauben. Aber Tourismuskenner Karl Born versichert in der Touristischen Runde in München glaubhaft, dass die Lage „nicht so schlimm ist wie manche sie beschreiben“. Allerdings sieht der Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz durchaus Probleme bei der Branche, die manche Entwicklung verschlafen habe. „Bis sie merkt, dass Krise ist, haben die anderen schon die Staatsgelder vereinnahmt“.

Die großen Veranstalter, ärgert sich der ehemalige TUI-Mann, räumten freiwillig Marktanteile. „Hauptsache das Ergebnis stimmt.“ Ob da die Rechnung aufgeht, bezweifelt Born. Manche Manager hätten die Krise strukturell im Kopf verschlafen, bemängelt er, nicht schnell genug reagiert und passende Programme aufgelegt. „Die Reiselust ist doch in Deutschland noch ungebrochen. Aber die Leute warten eben ab, bis die Schnäppchen am Markt sind.“ Vor allem Familien mit Kindern schauten mehr denn je auf den Preis. Um sie aufzufangen, müsse man nah am Kunden und seinen Wünschen sein.
Genau das reklamiert Dietmar Gunz, Gründer und Geschäftsführer der Münchner FTI-Touristik, für den fünft größten  Veranstalter in Deutschland, der auch in diesem Jahr Zuwächse verzeichnet. Der Begriff Krise, so Gunz, könne nicht alles abdecken. Es habe auch viele Fehler gegeben im letzten halben Jahr. Er erinnert an das „Kerosin-Chaos“ im Herbst, als die Kerosin-Zuschläge „teilweise höher waren als der Flugpreis“. Und nach all dem Krisen-Gerede im Frühjahr wundert er sich nicht, dass die Familien sich beim Buchen zurückhalten. „Der Kunde ist ja nicht dumm“, sagt Gunz und dass „flexible Kunden gar keine Motivation“ hätten, früh zu buchen. Nicht kurz- sondern kürzestfristige Reisen seien gefragt und da neue Produkte, die nach dem Ausbleiben anderer Märkte – vor allem der Russen – zur Verfügung stünden. So finde man heute Luxus-Häuser in Antalya auch bei Sonnenklar TV oder 1-2-fly, selbst Ritz mache jetzt auf all inclusive und Zimmer im glamourösen Burj al Arab seien zumindest zeitweise zum Drittel des Vorjahrespreises zu haben. Da müsse man als Veranstalter dann schnell reagieren.
„Wir können waghalsiger sein als die Großen der Branche“, umreißt Thomas Tischler, Geschäftsführer von Tischler Reisen in Garmisch-Partenkirchen sein Erfolgsrezept. Als kleiner Unternehmer könne er nicht gegen „Gunz oder TUI anstinken“, aber „es gibt die Aldis und die Lidls und die Feinkosthändler“ und die müssten nicht mal teurer sein. Tischler, der in diesem Jahr ein „gutes zweistelliges Plus“ verbuchen kann, sieht seine Zukunft in der Nische, da, wo Reisen noch keine Industrie, sondern Handarbeit ist, die man mit Emotion aufladen und mit Begeisterung verkaufen könne. 95 Prozent seiner Reisen werden über Reisebüros („der Schlüssel zum Erfolg“) verkauft. Seine Zielgruppe sind „Menschen, die einmal im Jahr etwas Besonderes machen wollen“. Und für die müsse man wieder andere, emotionalere Produkte erfinden.
40 plus sind die Kunden von Tischler Reisen. Um einiges älter ist der Kundenkreis, dem viele Berater die Rettung des Tourismus zutrauen. Ohne die flexiblen und finanziell liquiden Rentner, heißt es, hätte die Krise auch den deutschen Tourismus noch stärker erwischt. Born („Die Wirtschaftsexperten haben sich deklassiert“) hält von solchen Rechenspielen wenig: „Ob die Alten auf Dauer noch Geld haben, bezweifle ich.“  Für Gunz lassen sich die Senioren nicht einordnen. Sie sind ebenso unterschiedlich wie die jungen Kunden, von denen einige im Geld schwimmen, während andere sich kaum noch etwas leisten könnten. Bei den Rentnern gäbe es Einsame, die auf Busreisen Gesellschaft suchten, aber auch Aktive, die noch im hohen Alter Action wollten oder begeisterte Kreuzfahrer. Auch Wellness in allen Facetten sei ein großes Thema.
Freizeitforscherin Prof. Felizitas Romeiss-Stracke sieht trotz aller Aktivität die Rentner nicht als Hoffnungsträger im Tourismus. Die heute 50- bis 60-Jährigen seien in ihrem Leben so viel gereist, dass ihr Reisehunger gesättigt sei. Im besten Fall würden sie zu „Intervall-Reisenden“, die sich alle paar Jahre eine große Reise gönnen. Anders als Born rechnet die Freizeitforscherin in den nächsten fünf bis sechs Jahren mit „erheblichen Einbrüchen“. Schuld daran sei auch die Branche selbst, mit ihrem „Denken in Stückzahlen“ habe sie sich selbst eine Falle gestellt. Wenn Tourismus zur Industrie verkomme, dann sei alles austauschbar, die Städte, die Strände, die Hotels, und das schrecke auf lange Sicht ab. Womöglich, unkt Romeiss-Stracke, löse auf lange Sicht eine Freizeit-Dienstleistungswirtschaft den Tourismus ab.
Tourismus-Industrie ist auch Thomas Tischler ein Graus. „Wir müssen wieder lernen, den Leuten Geschichten zu erzählen“, appelliert er, und die Krise als Chance zur Veränderung nutzen. Dass die Kleinen das besser können als die Großen bezweifelt Dietmar Gunz. „Auch bei Großveranstaltern ist nicht alles uniform“, stellt er klar. Jeder Veranstalter habe „leidenschaftliche Produktmanager, die ihre Stammkunden kennen und neue Touren entwickelten. „Natürlich ist ein All-inclusive-Urlaub in Antalya ein Massenprodukt, aber es gibt ja auch noch anderes.“ Sein Rezept in einer möglichen Krise? „Wir machen nichts anderes. Einfach gut sein, schnell sein und an der Qualität arbeiten.“
„Bestimmte Leute brauchen keine Berater“, stellt Karl Born am Ende befriedigt fest. Denn viele Berater hätten von der eigentlichen Sache keine Ahnung. „Die packen doch nur ihr angefüttertes Wissen in Charts, die sie in eloquentem Denglisch präsentieren.“ Wege aus der Krise könnten solche Leute nicht weisen. Für den kritischen Tourismusprofessor steht fest, dass es dort, „wo die Branche sich als Industrie begreift, bergab geht“.  Generös räumt Born ein, dass es „auch bei Thomas Cook und TUI superinnovative Produkte gibt“. Nur: „Die sucht dort keiner“.

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