Ich liebe Indien. Ich mag das Chaos, die Götterwelt, die großartige Kultur, das Laissez-Faire. Aber mich entsetzt auch immer wieder die Armut in dem Subkontinent, das Elend der Krüppel, die Missachtung der Frauen, der Dreck. Als ich jetzt wieder da war, hatte sich doch einiges geändert. #MeToo hat Indien erreicht, die Frauen wollen nicht mehr alles hinnehmen und setzen sich zur Wehr. Das gilt vor allem in den Städten, aber auch auf dem Land sieht man zunehmend Väter mit ihren Babys.
Berge von Müll und Verkehrschaos
Ja, das Land erstickt unter den Bergen von Müll, die heiligen Kühe fressen Abfall, die Häuser verfallen, viele Flüsse sind schon umgekippt, die großen Städte verkommen zur Verkehrshölle.
In seinem Buch „Magische Saat“ hat der Literaturnobelpreisträger V.S. Naipaul das Schicksal von Neubauten geschildert, die derzeit in dem Vorstädten aus dem Boden schießen: „… Dann bogen sie ein einen unasphaltierten,steinigen Fahrweg ein, auf dem der kleine Roller holperte und sprang, und kamen schließlich zu einer Ansammlung von Betonwohnblocks auf nackter, aufgeworfener Erde, als hätten die Bauleute nach getaner Arbeit vergessen, den Boden wieder zu planieren, oder einfach keine Lust mehr gehabt.“
Unterwegs im Luxuszug
Genauso haben wir es auch erlebt – allerdings aus der Distanz. Denn diesmal waren wir mit dem Zug unterwegs. Ach was Zug. Der Deccan Odyssey ist ein Luxuszug, ein Palast auf Rädern, wie es in der Eigenwerbung heißt. Ganz so protzig ist er dann doch nicht, aber dieser lange, nachtblaue Zug war uns eine Woche lang ein bequemes Heim auf den Schienen. Was für ein Unterschied zu den normalen indischen Zügen mit den Gittern vor den Fenstern, wo man auf Eisenbänken in drangvoller Enge sitzt! Wir dagegen hatten zwei weiche Betten, die jeden Tag frisch gemacht wurden, dazu ein Bad mit Dusche und – einen Butler.
Sanjay freut sich auf seine Familie
Sanjay kommt aus Kaschmir, er ist 27 und Vater eines sieben Monate alten Babys. Am Ende dieser Fahrt, wenn der Zug in Mumbai einrollt, wird Sanjay aussteigen und nach Hause fahren. Es wird auch Zeit, er will seinen kleinen Sohn in den Armen halten und seine Frau wieder sehen. Aber nicht für lange. Denn den Job im Luxuszug will er nicht verlieren. Vier Jahre ist er nun dabei und dankbar, dass er arbeiten darf. Jeden Morgen begrüßt uns Sanjay mit einem Lächeln. Dass wir seine Dienste so wenig in Anspruch nehmen, wundert ihn etwas. Aber wir sind es einfach nicht gewöhnt, einen Butler zu haben. Vielleicht haben die Gäste, die sich eine der vier prächtigen Presidential Suites leisten, da mehr Erfahrung
Es gibt sogar einen Gym-Wagon
Gut 350 Meter lang ist der Zug, 13 der 21 Wagen sind für die Gäste reserviert. Dazu gibt es zwei Restaurants, eine Bar, eine kleine Bibliothek mit Shop und Business Center und einen Spa- und Gym-Wagon. Die restlichen Wagen sind fürs Personal und die Vorräte. Der Koch hat zu tun, in der kleinen Küche Spezialitäten für rund 65 Gäste auf den Tisch zu bringen. Aber er schafft das kleine Wunder jeden Tag, früh, mittags und abends. Meist steht der Zug im Bahnhof, wenn im Restaurant groß aufgetischt wird. Dann werden die Jalousien herunter gelassen. Die Menschen draußen sollen den Luxus drinnen nicht sehen. Sind die Fenster doch mal offen, ernten wir neugierige Blicke, Kinder winken, auch Erwachsene lächeln.
Englische Passagiere überwiegen
Wir sind die einzigen Deutschen auf dieser Reise und eine der wenigen, die nicht mit einer Gruppe unterwegs sind. Drei Gruppen werden für die Ausflüge gebildet. Farbige Badges zeigen, zu welcher Gruppe man gehört: Rot sind die Polen, gelb ist die englische Gruppe und blau sind wir, die Individualisten – außer uns sind es ebenfalls Briten. Kein Wunder, die meisten Gäste des Deccan Odyssey kommen aus dem Land, für das Indien lange Zeit Kolonie war. „Viele auf den Spuren ihrer Ahnen,“ erklärt Madhav Das Rathore vom indischen Reiseveranstalter Cox & Kings, der hier das Sagen hat. Cox & Kings haben den Luxuszug für fünf Jahre von der Regierung geleast.
Die Blue Diamonds
„Blue Diamonds“ hat der Guide am ersten Tag unsere Gruppe getauft – und der Name bleibt uns. Dabei sind wir alles andere als Diamanten. Denn wir sind anstrengend. Wir haben ein älteres Ehepaar dabei, das beim Gehen Schwierigkeiten hat. Die Lady ist mit Gehwagen angereist. Kein Problem für das freundliche Personal im Zug. Unsere liebenswürdige Zugbegleiterin hilft, wo sie kann. Auch die allein stehende Dame, die so kurzatmig ist, dass sie sich nach ein paar Schritten setzen muss und jedes Mal barsch nach einer Sitzgelegenheit verlang, bleibt nicht ohne Unterstützung. „Wir tun, was wir können,“ sagt Madhav Das Rathore. „Der Gast soll wie ein Gott behandelt werden.“ Das sei schließlich ein Mantra in Indien.
Der kleine Unterschied
Auf älteres Publikum ist man im Deccan Odyssee eingestellt. 45 plus sei der Altersdurchschnitt, sagt der Manager, allein schon wegen des Preises. Allerdings reisten auch immer wieder Familien mit. Im vergangenen Jahr war es eine Großfamilie aus Norwegen mit 17 Mitgliedern. Die hatten dann natürlich ihren eigenen Bus so wie die Gäste der Presidential Suites, die bei den Ausflügen auch einen eigenen Führer haben. Ein bisschen Unterschied muss schon sein. Doch auch die „gewöhnlichen Reisenden“ dürfen nicht knausern. Acht Tage und sieben Nächte kosten in der Deluxe-Kabine 8750 Euro – mit Vollpension und allen Ausflügen.
Der Zug fährt bei Nacht
Wir hatten eigentlich erwartet, beim Zugfahren die Berge Rajasthans an uns vorüberziehen zu sehen wie im Film. Aber das war eine Illusion. Der Deccan Odyssey fährt in der Regel nachts, wenn alle schlafen und höchstens durch die holprigen Schienen aus süßen Träumen geschreckt werden. Untertags sind die Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten angesagt – mit Bus und Führer. Da ist so ziemlich alles dabei, was Touristen so gerne sehen und fotografieren: Das Tiger-Reservat im Ranthambore Nationalpark, das Taj Mahal, die rosarote Stadt Jaipur und die Festung Amber, die Paläste von Udaipur, der archäologische Park von Champer-Pavagadh mit den wunderschönen Moscheen aus der Zeit vor der Mogul-Herrschaft und die großartigen Höhlen von Ellora mit ihren fantastischen Steinskulpturen.
Vom Vorzeigedorf zum Taj Mahal
Gut, wir hätten uns vielleicht ein bisschen mehr Zeit zum Schlendern in den Städten gewünscht, wären in Jaipur oder Udaipur gerne in die Lädchen gegangen, wo die farbenfrohen Saris und die glitzernden Armreifen ausliegen und die Händler so manche Überraschung aus dem Hinterzimmer holen. Dafür hätten wir auch auf den einen oder anderen Besuch in der Teppichweberei oder dem „Kunstatelier“ verzichtet. Aber wir wollten ja Indien mal anders erleben. Nahe kommen durften wir im Ranthambore Nationalpark den Menschen in einem Vorzeige-Dorf, wo der Guide stolz auf die Toiletten hinwies und die vom Staat geförderte Schule. Und nah gekommen sind wir Indien auch im Taj Mahal, wo wir uns mit Tausenden Indern und Touristen durch die schmale Pforte ins Innere drängen mussten, um einen kurzen Blick auf die – falschen – Sarkophage des berühmtesten Liebespaars Indiens zu erhaschen.
Der rote Teppich gehört dazu
Weil wir im Luxuszug unterwegs waren, wurden wir auch untertags luxuriös bewirtet, waren Gast in Palästen und wurden am Bahnhof mit großem Empfangskomitee begrüßt. Der rote Teppich lag immer bereit, wenn wir aus- oder einstiegen. Für einige unserer Mitreisenden war das selbstverständlich. Die Lords und Ladys – Banker, Architekten, Anwälte, Professoren – sahen sich gerne hofiert und waren doch liebenswürdige Gesprächspartner. George hatte die Reise als Geburtstagsüberraschung für seine Frau Kate gebucht. Bis zur Abfahrt des Zuges hatte sie keine Ahnung, was sie erwartete. Aber dann war sie begeistert.
Wir waren es auch. Danke an Geoplan für die Unterstützung.
Infos im Internet: https://www.deccan-odyssey-india.com/
https://www.geoplan-reisen.de/
Mai 17, 2019
Hallo Lilo,
interessanter Artikel. Mir gefällt Indien auch, dem Lärm, Müll und Chaos zum Trotz. In Rajasthan war ich auch überwiegend mit Zügen unterwegs, aber den regulären und es war ok und auch spannend. Schade, dass recht wenige Leute englisch gesprochen haben. Von „Deinem“ Luxuszug“ habe ich aber noch nie gehört, obwohl es so was ja inzwischen in vielen Ländern, wie Südafrika oder Kanada, auch gibt.
LG
Stefan
Juni 11, 2019
Ja, es gibt jede Menge Luxus- und Touristenzüge, Stefan. Ich bin auch schon mit regulären Zügen in Indien unterwegs gewesen. Das ist natürlich was ganz anderes… Im Deccan könnte man sich schon fühlen wie zu Kolonialzeiten, so sehr wird man umhegt.