Im Tal der Tränen: Martin Suters neuer Roman „Der Teufel von Mailand“

Der Teufel von Mailand
Autor: Martin Suter
Verlag: Diogenes
Erschienen: Juni 2006

Hol’s der Teufel, da hat der Schweizer Martin Suter, seit seinem Erstling „Small world“, Garant für Spannungsromane mit literarischem Anspruch, wieder ordentlich nachgelegt. „Der Teufel von Mailand“ heißt sein neues Werk. Und wie in den anderen Büchern des 1948 geborenen Zürichers („Ein perfekter Freund“, „Die dunkle Seite des Mondes“, „Lila, lila“) geht es auch in diesem Krimi um die Frage der eigenen Identität. Suter formulierte die existentiellen Grundfragen seiner Bücher in einem Interview so: „Wer bin ich? Wer könnte ich sonst noch sein? Wer könnte ich nicht sein?“
Auch Sonia muss sich diese Fragen stellen. Ihr Leben ist aus den Fugen
geraten. Nach der Scheidung von einem Banker aus gutem Haus, hat ein
unfreiwilliger LSD-Trip ihre Wahrnehmung erschüttert. Die Wirklichkeit
erscheint komplexer denn je: Die junge Frau kann Geräusche sehen,
Farben fühlen, Formen schmecken. Die Synästhesie hat durchaus ihre
Reize, wenn Sonia etwa Geräusche in Farben sieht, die sie sonst noch
nie wahrgenommen hat. Aber sie sorgt auch für Chaos im Kopf. Sonia aber
will nichts als Ruhe und Frieden. Sie will ihren besitzergreifenden
Ex-Mann und seine übermächtige Mutter vergessen, das ganze Elend ihrer
gescheiterten Ehe hinter sich lassen, wieder aufatmen in der Natur.
Das Val Grisch erscheint ihr als der geeignete Ort. Die Tatsache, dass
ausgerechnet in diesem abgelegenen Tal die junge Besitzerin eines
Wellness-Hotels eine Physiotherapeutin sucht, wirkt auf Sonia wie ein
Wink des Schicksals. Schon bald muss sie jedoch erfahren, dass auch in
abgelegenen Tälern die Welt nicht mehr in Ordnung ist, für Sonia wird
das Val Grisch zum Tal der Tränen. Nur die SMS-Botschaften, die sie mit
Freundin Malu austauscht, der freundliche Masseur Manuel und ihr
Papagei helfen ihr über den Katzenjammer. Die Umwelt aber ist seltsam
feindlich. Die ältere Kollegin erinnert sie mehr und mehr an eine Hexe,
die Patienten sind ihr zuwider. Die Dörfler wollen unter sich bleiben
und opponieren gegen das Hotel und seine bildschöne aber rätselhafte
Besitzerin, die so gar nicht in ihren Ort passt.
Und dann passiert eine Reihe seltsamer Dinge, auf die sich Sonia ihren
eigenen Reim macht, nachdem sie ein Exemplar der Sage „Der Teufel von
Mailand“ gefunden hat. Das Mädchen Ursina, so wird erzählt, habe vom
Teufel Schönheit, ewige Jugend, Reichtum, Glück und ein Schloss
bekommen und ihm dafür ihre Seele verkauft. Denn in ihrer Naivität
dachte sie, die Bedingungen, die er dafür nannte, träten nie ein: „Wenn
es Herbst wird im Sommer. Wenn es Nacht wird am Tag. Wenn die Glut
brennt im Wasser. Wenn es tagt beim zwölften Schlag. Wenn zum Fisch
wird der Vogel. Wenn zum Mensch wird das Tier. Wenn das Kreuz zieht
nach Süden, erst dann gehörst du mir.“
Sutor verknüpft gekonnt Märchenhaftes mit dem ganz realen Horror zu
einer spannungsgeladenen Geschichte, in der Sonias zersplittertes
Selbstbewusstsein zum Katalysator wird. Und das Ende kommt mit
Schrecken – ganz wie in der Sage.
Info: Martin Suter, Der Teufel von Mailand, Diogenes, 297 S., 19,90 €, ab Juli im Buchhandel

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