Im Großstadtdschungel: Isabel Allendes „Mayas Tagebuch“

Ihr liebstes Thema sind starke Frauen und als solche empfindet sich Isabel Allende auch selbst. Die 1942 im peruanischen Lima geborene Autorin und Nichte des ehemaligen chilenischen Präsidenten Salvator Allende, feierte mit "Das Geisterhaus" ihren größten Erfolg. Darin verarbeitet sie die Schrecken des Militärputsches unter Pinochet, bei dem 1973 der demokratisch gewählte Präsident Allende erschossen wurde und Hunderte Oppositioneller ihr Leben ließen, verschwanden oder ins Exil gingen – wie Isabel Allende selbst. Mit ihrem zweiten Mann lebt sie heute in Kalifornien. Am 2. August wird die scheinbar ewig junge Erfolgsautorin 70 Jahre alt, zugleich erscheint – quasi als Geburtstagsgeschenk – ihr neuer Roman auf deutsch. 

Auch in diesem Roman „Mayas Tagebuch“ spielt das Folter-Regime von Pinochet eine wichtige Rolle.Die Autorin selbst wurde nicht direkt zum Opfer, doch die Erfahrungen mit Terror und Unfreiheit prägen ihr Werk, das sich zwar am magischen Realismus Südamerikas orientiert, aber immer auch autobiographische Züge aufweist. So verarbeitete die verwaiste Mutter den Tod ihrer Tochter Paula, die im Alter von 29 Jahren starb, in einem bewegenden Roman.
Jetzt also Maya, eine 19-jährige US-Amerikanerin mit chilenischen Wurzeln, die in ihrem kurzen Leben schon so viel Schreckliches erlebt hat, dass es für mehrere Leben reichen würde. Zwar ist sie bei ihren Großeltern, der gestrengen Nini und dem warmherzigen Pop, behütet aufgewachsen. Doch als der über alles geliebte Großvater stirbt, wird die von ihrer Mutter allein gelassene Maya von Trauer und Verlustängsten überwältigt. Sie verliert jede Orientierung, jeden Halt und stürzt ins Verderben. Der Aufenthalt in einer Schule für schwer erziehbare Jugendliche und in einer Entzugsanstalt können diesen Absturz nur kurzzeitig bremsen. Um zu überleben wird Maya zur Diebin und Drogenkurierin, sie verstrickt sich in in kriminelle Geschäfte und erniedrigt sich bis zur Selbstaufgabe.
Doch das Glück (oder ihr Pop, wie Maya meint) hat sie nicht ganz verlassen. Ein Freund, der selbst drogensüchtig ist, rettet ihr das Leben und endlich kann ihre Nini wieder für die verstörte Enkelin sorgen – indem sie Maya weit weg schickt auf eine kleine chilenische Insel, um sie vor möglichen Verfolgern zu verstecken. Dort, im Haus eines wortkargen aber lebensklugen Alten, verarbeitet das Mädchen schreibend seine schrecklichen Erlebnisse im düsteren Drogenmilieu der Glitzerstadt Las Vegas. Gleichzeitig entwirrt Maya die komplizierte Geschichte ihrer Familie, die durch Pinochets Terrorregime aus der Bahn geworfen wurde.
Isabel Allende hat viel hinein gepackt in dieses Buch: den von der Welt vergessenen Terror in Chile, das unbarmherzige Drogenmilieu in Las Vegas, Korruption, Verzweiflung, Hilflosigkeit. Sie zeigt aber auch, dass es immer Hoffnung gibt, porträtiert starke Frauen, die auch mal schwach werden können und gebrochene Männer, die einmal stark waren, und stellt sie in eine Landschaft, die mit ihrer Schönheit auch zur Heilung versehrter Seelen beitragen kann. Vielleicht hat der Roman manchmal zu viel Gefühls-überschwang, vielleicht wirkt Mayas Großvater-Beschwörung auch etwas befremdlich. Aber Isabel Allende ist es gelungen, in der Person der Maya zwei Welten, ihre Geschichte und ihre ganz unterschiedlichen Mechanismen zusammenzubringen. 
Isabel Allende, Mayas Tagebuch, Suhrkamp, 445 S., 24,95 Euro


Ein Kommentare
  • Michael Petrikowski
    August 1, 2012

    Der Roman ist ab dem 13. August 2012, gelesen von Hannah Herzsprung, auch als Hörbuch erhältlich.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert