Hamlet mit Hunden: David Wroblewskis „Die Geschichte des Edgar Sawtelle“

Dass er Shakespeares Dramen liebt, hat David Wroblewski in einem Interview gesagt. Aufmerksame Leser erkennen diese Vorliebe im Debütroman „Die Geschichte des Edgar Sawtelle“, vordergründig die Geschichte eines Jungen und seines Hundes, hintergründig aber ein Drama von Shakespearescher Wucht.

Der stumme Edgar wächst in einem Dorf in Wisconsin auf, wo seine Eltern
Gar und Trudy eine Hundezucht betreiben. Auch Edgar hilft beim Training
der Hunde und die klugen Tiere verstehen seine Gebärden genauso gut wie
er ihre stumme Anteilnahme versteht. Die drei und ihre Hunde bilden
eine verschworene Gemeinschaft – bis Claude zurückkehrt, Gars Bruder,
der im Koreakrieg gekämpft hatte. Er bringt Unruhe und Streit ins Haus
und eines Tages findet Edgar seinen Vater sterbend in der Scheune. Früh
schon hegt er den Verdacht, dass Claude dahinter stecken könnte. Als
dann Trudy ein Verhältnis mit dem verhassten Onkel beginnt, sind die
Parallelen zu Hamlet nicht mehr zu übersehen, zumal auch Gars Geist den
Sohn heimsucht. Die Rolle der Ophelia übernimmt in diesem Drama
Almondine, die Hündin, mit der Edgar groß geworden ist und mit der ihn
eine wortlose Vertrautheit verbindet.
Es ist diese in vielen Facetten geschilderte Beziehung zwischen Mensch
und Tier, die Wroblewskis Roman so eindrucksvoll macht. Auch auf seiner
Flucht wird Edgar von Hunden begleitet, die – wie er – auf der
dreimonatigen Wanderung ihre Kindheit ablegen und erwachsen werden.
Diese bewegende Entwicklungsgeschichte enthält eine der
eindrucksvollsten Naturschilderungen der Literatur. Auch sonst
überrascht Wroblewski, der scheinbar mühelos von der Perspektive des
Killers in die seiner Opfer, von der Perspektive Edgars in die seines
Hundes wechselt immer wieder mit unerwarteten Wendungen bis hin zu
fantastischen Elementen. Vielleicht hätte er auf manche Passagen, in
denen er sich detailliert mit den Problemen der Hundezucht befasst,
verzichten können, die das Drama nur hinauszuzögern scheinen und dem
Leser einen langen Atem abverlangen. Doch der lohnt sich, denn das Ende
kommt unerbittlich und mit Shakespearescher Urgewalt.
Info: David Wroblewski, Die Geschichte des Edgar Sawtelle, DVA, 694 S., 22,95 Euro

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