Großwildjäger im Kleinbus – Eine Safari in Kenia

Kenia

Die Big Five will jeder sehen, der nach Kenia kommt. Elefant, Nashorn, Büffel, Leopard und Löwe. Aber eine Garantie gibt es nicht und so eine Safari kann ganz schön mühsam sein. Da ist erst einmal die Anreise in den Nationalpark (wenn man nicht gleich einfliegt). Unser Ziel ist Tsavo, der größte Nationalpark des Landes, der durch den Highway von Mombasa nach Nairobi in zwei Teile zerschnitten wird: Tsavo West und Tsavo Ost.
Doch der „Highway”, der aus Mombasa herausführt, verdient nicht einmal den Namen Schotterstraße: Löcher voller Wasser, Frostaufbrüche im schmalen Asphaltband, auf dem Lastwagen, Busse und Autos einen seltsam choreographierten Tanz tanzen, um einem Zusammenstoß zu entgehen. Immer klappt das nicht, wie ein ausgebrannter Lkw am Straßenrand beweist. Die Umgebung ist trostlos: Verwahrloste Hütten, Plastikmüll, Schrott. „Hier spürt ihr Afrika,” sagt Honza, unser Fahrer. Er meint wohl die Unzulänglichkeit des Schwarzen Kontinents, die Unfähigkeit, Gelder sinnvoll einzusetzen.
Aber natürlich ist Afrika auch hier noch anders zu spüren: Lachende Kinder, die fröhlich winken. Hirtenjungen mit ihren Herden, die ungerührt am Straßenrand weiden. Farbenfroh gekleidete Kenianerinnen mit grellbunten Plastikeimern, die sie mit einer Grazie tragen als schritten sie über den Laufsteg. Sattgrüne Schirmakazien, flammend rote Flamboyants. Auffallend viele neue Moscheen säumen den Highway, der irgendwann doch noch eine richtige Straße geworden ist. Die EU, so kann man lesen, finanziert einen Teil des Ausbaus ­ und China.
Und dann sind wir in Tsavo West. Mitten im Nationalpark hat sich der deutsche Hotelier Peter Frank seinen Lebenstraum verwirklicht und ein Camp geschaffen, das geradewegs aus dem Film „Jenseits von Afrika” zu kommen scheint: Für Finch Hatton’s Camp stand denn auch jener aristokratische Großwildjäger Denys Finch Hatton Pate, der in den Zwanziger Jahren Safaris für Blaublütige organisierte, löwen inklusive. Der Mann konnte es gut mit Prinzen und Promis aber auch mit dem anderen Geschlecht. Seine Romanze mit Karen Blixen hat den Frauenhelden weltberühmt gemacht. Denys Finch Hatton starb in den Hügeln nahe des Camps bei einem Flugzeugabsturz.
Im Camp von Peter Frank lebt sein Geist weiter. Im edel eingerichteten Haupthaus speisen die Gäste im Licht eines imposanten Lüsters bei klassischer Musik. Die Küche hat Weltniveau und in den 35 „Zelten”, die am Ufer eines malerischen Sees stehen, wohnt man luxuriös wie im Fünf-Sterne-Hotel, nur näher an der Natur. Vor der Terrasse dümpeln Nilpferde träge im Wasser, Webervögel umflattern ihre kunstfertigen Nestbauten, Krokodile liegen träge in der Sonne. Weil auch wilde Tiere vor allem nachts ohne Scheu bis an die auf Pfählen stehenden überdachten Zeltbauten kommen, werden die Gäste von bewaffneten Askaris in ihr Heim auf Zeit eskortiert. Im Gästebuch findet sich hymnisches Lob wie „Der Himmel kann warten, Finch Hatton ist besser” oder „Out of Africa ­ out of this world”. Der Finch-Hatton-Biograph Errol Trebinski, der 1993 ­ ein Jahr nach der Eröffnung ­ im Camp war, meinte, „Denys hätte gegen die perfekte Schönheit des Ortes opponiert”, um dann genau diese Perfektion zu preisen. „Und Löwen gibt es auch noch,” heißt es fast triumphierend am Ende des Eintrags.
Das wollten wir genauer wissen auf unseren Ausfahrten mit Honza. Die Landschaft am Fuß der Chyulu-Hills ist Afrika wie im Bilderbuch mit rundkuppigen Hügeln, ausladenden Schirmakazien und einem Himmel, der gar nicht zu enden scheint. Aber wo steckt Simba? Wir begegnen den berühmten roten Elefanten mit und ohne Baby, jeder Menge Giraffen, allen Sorten von Antilopen, wir sehen eine Herde Büffel und eine Warzenschweinfamilie, eine Straßensippe kreuzt unseren Weg, Zebras stehen fotogen direkt vor dem Kilimandscharo und Affen posieren auf den Bäumen. Die Wege durch Tsavo West sind von Furchen durchzogen, unsere Safaribusse schwanken gefährlich, wenn sie über Stock und Stein holpern. Doch die Fahrer sind ehrgeizig. Sie wollen uns alles zeigen, was Tsavo hergibt. Auch den Löwen?
Honza flucht leise. Gimo, der Fahrer des ersten Busses, ist stecken geblieben und braucht Hilfe. Wir sind schnell zur Stelle. Aber auch mit vereinten Kräften lässt sich der Bus nicht bewegen. Dass alle aussteigen und fotografieren, kümmert die Fahrer in diesem Moment nicht. Vielleicht wissen sie auch, dass wir nicht in Gefahr sind, vom wilden Löwen gebissen zu werden. Schließlich hängt Honza den anderen Bus ans Abschleppseil und zieht ihn aus der Furche. „Ich glaube, die Löwen sind ausgewandert,” argwöhnt Michael, der bisher alles Getier gefilmt hat, das in unser Blickfeld geraten ist.
Das wollen die Fahrer nicht auf sich sitzen lassen. Jetzt oder nie. Wir rattern durch den Park bis zum „Rhino Sanctuary”, wo die vom Aussterben bedrohten Nashörner, von Rangern überwacht, Zuflucht finden. Es dämmert schon, als ein mächtiger Elefantenbulle aus dem Gebüsch auf die Straße tritt. Die Bremslichter von Gimos Bus leuchten auf wie ein Warnsignal, auch Honza bremst ruckartig, um nicht aufzufahren. Und dann stehen sie sich gegenüber wie beim Show-down in „12 Uhr mittags”: das Auto und der Elefant. Die Minuten vergehen, keiner gibt nach. Der Elefant schwenkt den Rüssel und klappt die Ohren auf, so dass sein riesiger Schädel noch größer wirkt. Wir halten den Atem an. Die Minuten vergehen. Und dann, als schon niemand mehr daran glaubt, tritt der Bulle den Rückzug an.
Weniger glücklich verläuft die Begegnung eines Ziegenmelkers mit unserer Windschutzscheibe. Der kleine Vogel landet auf dem hochgestellten Dach und bricht sich das Genick. Schnell fällt die Nacht herein. Vom Licht der Scheinwerfer verwirrt, schlägt ein Hase auf der Straße Haken, wir scheuchen die zierlichen Digdigs auf und immer wieder Perlhühner. Auch ein Schakal kreuzt unseren Weg und irgendwann meine ich, gelbe Augen zwischen den Büschen leuchten zu sehen. Aber da sind wir schon vorbei gebraust. So werde ich nie erfahren, ob uns der König der Tiere vielleicht doch noch seine Aufwartung machen wollte.
Nachts im Schutz meines Moskitonetzes, während die Frösche ihre kleine Nachtmusik anstimmen, träume ich von einer ganzen Löwensippe. „Hast du auch das Fauchen gehört,” fragt Anke morgens beim Frühstück.

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