Mit seinem Erstling „Crazy“, den er im zarten Alter von 17 Jahren veröffentlichte, wurde Benjamin Lebert zum Wunderkind der deutschen Literatur, hoch gelobt von Kritikern der unterschiedlichsten Provenienz. Auch Übermutter Elke Heidenreich hatte den jungen Autor ins Herz geschlossen. Der frühe Ruhm und die hohen Erwartungen machten es dem jungen Nachwuchsautor nicht leicht. Fünf Jahre ließ er sich Zeit, bis er sich mit „Der Vogel ist ein Rabe“ wieder an die Öffentlichkeit wagte, auch das ein aus der persönlichen Erfahrungswelt inspirierter Roman über die Sehnsucht nach Liebe und Verständnis. Die Gefühlsnöte jugendlicher Helden sind auch das Thema des dritten Romans „Kannst du“. Jetzt also der vierte Streich aus der Feder des unzweifelhaft begabten jungen Mannes aus einer bekannten Journalistenfamilie , „Flug der Pelikane“.
Natürlich geht es auch in diesem Roman wieder um einen verstörten jungen Mann, um zerbrechliche Existenzen am Rande des Nervenzusammenbruchs und um die Chancen zu Umkehr und Neuanfang, die das Leben immer wieder bietet. Der junge Anton, grade mal wieder aus dem eigenen Leben gefallen – das Studium geschmissen, die Freundin verloren – verbringt einen Sommer in New York beim mexikanischen Imbissbuden-Besitzer Jimmy, einem ehemaligen Freund seiner Mutter. In dieser Zeit taucht er tief in das Leben anderer ein – und kommt sich dabei selbst auf die Spur.
„Onkel Jimmy“ ist besessen von einer längst vergessenen Geschichte, der Flucht von drei schweren Jungs aus der Gefängnisinsel Alcatraz, der Insel der Pelikane. Er hat alles gesammelt über diesen spektakulären Ausbruch: Bilder, Zeitungsausschnitte, die Geschichte von Alcatraz. Und er hat die Männer nie aus dem Blick verloren, die sich einmal im Jahr in einem Steakhouse trafen. Sind sie wirklich identisch mit den Alcatraz-Flüchtlingen? Dann wäre die waghalsige Flucht gelungen, hätten die Männer die Chance zu einem Neuanfang ergriffen, während die ganze Welt glaubte, sie seien gescheitert, Opfer der perfiden Strömungen vor der Insel. Anton wird angesteckt von Jimmys Leidenschaft und die Spurensuche führt ihn zurück zu seiner eigenen Geschichte und seiner Flucht aus der Realität.
Jimmys plötzlicher Tod macht ihm klar, wohin er gehört. Eines aber hat er von dem mexikanischen Wahl-Verwandten gelernt: Worauf es ankommt im Leben – „dass man bereit ist auszubrechen. Dass man Fluchtpläne schmiedet“. „Man ist nie ganz sicher, wann eine Geschichte zu Ende geht“, hat der Jungautor in einem Zeit-Gespräch mit seiner Oma, der Journalistin Ursula Lebert, gesagt. Antons Geschichte fängt nach diesem Sommer erst an. Der Nestflüchtling ist flügge geworden – so wie im übrigen auch sein geistiger Vater.
Info: Benjamin Lebert, Flug der Pelikane, Kiepenheuer & Witsch, 186 S., 14,95 Euro