Endspiel in Kosice

„Der Mensch ist so bescheiden. Er liebt das, was er bekommt.“ Sandor Marai

Vielleicht wollten die Kosicer den Satz ihres berühmten Sohnes beherzigen und damit zufrieden sein, was sie haben. Das ist schon Herausforderung genug für eine Stadt, die befürchten muss, dass der größte Arbeitgeber, die US Steel Company, sie verlassen könnte. Da kamen die 75 EU-Millionen für das Projekt Kulturhauptstadt 2013 gerade recht um Pläne zu schmieden. 

Man könnte die schönen alten Häuser der ehemaligen Königsstadt Kaschau herausputzen, die Sankt Nikolauskirche, die östlichste gotische Kirche Europas, auf Hochglanz polieren, die Parkanlagen aufrüsten, die ganze Stadt zur Bühne machen und auch die Kultur exportieren – hinaus in die Plattenbauviertel, die Kosice umringen wie es einstmals die – an wenigen Punkten – noch sichtbare Stadtmauer tat. Von „Spots“ redet Martina Urik Viktorinova, die für die Außenwerbung der Kulturhauptstadt zuständig ist: „Sieben Spots für sieben Ideen“ wie Kletterwand, Bastelstube, Frauen-Treffpunkt, Joga-Zentrum und mehr sollen Kultur hinaus in die Vororte tragen, Plätze sein, wo man sich trifft und so das ganze Umfeld positiv beeinflussen.
Viktorinova ist für das Kulturhauptstadtjahr aus Straßburg nach Kosice gekommen. Zwei Jahre ist die 27-jährige sehr beredte Blondine nun schon in der Stadt und sie könnte sich gut vorstellen, noch ein Jahr länger zu bleiben. Nicht nur, um all die Events mitzuerleben, die 2013 die etwas verschlafene Stadt am Rand der Slowakei verändern sollen. Auch, weil noch längst nicht alles, was man sich vorgenommen hat, fertig sein wird. Denn da sind ja noch die „Schlüsselprojekte“, erklärt die smarte PR-Frau und schaut etwas hilfesuchend zum Kollegen Tomas Cizmarik. Der 33-jährige Kosicer mit dem graumelierten Bart und dem durchdringenden Blick weiß, wovon die Rede ist: Vom ehemaligen Schwimmbad, das sich in eine Kunsthalle verwandeln und vom Kasernengelände, das zum Kulturpark werden soll. Das klingt gut, vernünftig, nachhaltig und sieht in der Animation auch toll aus. Und die Realität? Mit Investitionen von mehr als 25 Millionen soll das ehemalige Militärgelände, lange Zeit verbotenes Terrain, umgebaut und für alle geöffnet werden. Die US Steel Company, die das Ganze mit Fördergeldern unterstützt, bekommt ein eigenes Gebäude, um „The Life of Steel“, das Leben des Stahls interaktiv zu inszenieren. Viel von dem, was hier geplant ist, ist noch nicht zu sehen, auch wenn auf dem „verminten“ Gelände Tag und Nacht gewerkelt wird. Bombenfunde aus dem Zweiten Weltkrieg haben die Arbeiten zusätzlich verzögert. Noch komplizierter scheint das Projekt Kunsthalle, schon wegen der desolaten Bausubstanz des ehemaligen städtischen Badehauses. Die 15 Millionen, die für den Umbau kalkuliert waren, werden zu 95 Prozent von der EU finanziert. Für die restlichen fünf Prozent musste die Stadt schon Geld leihen, sagt Tomas Cizmarik mit sorgenvoller Miene. Damit, dass diese „Schlüsselprojekte“ bis zur Eröffnung des Kulturhauptstadtjahrs am 19. und 20. Januar fertig werden, rechnet er nicht. Vielleicht bis zur Jahresmitte. Und woher später das Geld für den Unterhalt kommen soll, steht noch in den Sternen. Sponsoren händeringend gesucht, heißt das, so Cizmarik.
Doch solche Petitessen tun dem Optimismus der Verantwortlichen keinen Abbruch. Sie sind sicher, dass sie die „Transformation of the city“, die Verwandlung der Stadt, die sie sich vorgenommen haben, schaffen. Und sie glauben fest daran, dass sie mit ihrem Programm jede Menge Touristen in eine Stadt holen, die zu lange im Schatten der Hauptstadt Bratislava (Preßburg) gestanden habe. Schon im Dezember geht’s los mit einem Aufwärmfest zum Thema „Das Ende der Welt“ vom 14. bis 21. Dezember, dem Tag der angeblichen Maya-Prophezeiung. „Wir spielen mit der Idee, dass wir die erste Kulturhauptstadt nach dem Ende der Welt sein könnten“, sagt Tomas Cizmarik und grinst. Das Ganze soll ein Mordsspaß werden mit viel Fantasie, Happenings aber auch schockierenden Performances. Und zur Eröffnung im Januar könne man dann die Zukunft der Stadt zeigen, auch das auf spielerische Art. Einbezogen in das Programm wird das Löffler-Museum, ein Kunsthaus, das der Maler und Bildhauer Vojtech Löffler der Stadt geschenkt hat. Wie Direktorin Milena Gasajova verrät, soll ihr Haus 48 Stunden lang zur Botschaft eines Fantasielandes werden. 
Der karpatendeutsche Künstler Helmut Bistika, der derzeit im Löffler-Museum ausstellt, und der seine Inspiration aus der Arbeit mit Behinderten bezieht, macht sich seine eigenen Gedanken über die Zukunft der Kunst in Kosice. „Wenn das Kulturhauptstadtjahr vorbei ist, haben wir zwei Tempel für die Kunst aber kein Geld mehr“, fürchtet der 49-Jährige mit der dunklen Intellektuellenbrille. Er würde sich wünschen, dass die Menschen in Kosice das Kulturhauptstadtjahr als Chance begreifen, aus wenig viel zu machen. „Es kann sich doch nicht alles um Geld drehen“, sagt der Maler leise.
Für Juraj Karlik, den 34-jährigen Tea-Room-Betreiber mit den blonden Locken, ist Geld kein Thema. Ihm geht es darum, jüdisches Gedankengut in der Stadt, die einmal eine der größten jüdischen Gemeinden beherbergt hat, lebendig zu erhalten. Mit dem ersten jüdischen Festival in diesem Jahr haben er und seine zwei Freunde schon großen Erfolg gehabt und das, obwohl die drei Slowaken mit ihrer Idee bei der kleinen jüdischen Gemeinde erst einmal auf Skepsis stießen. Im Kulturhauptstadtjahr soll das anders werden. Unterstützung für das Festival hat Karlik sich in Krakau, Budapest und New York gesichert. Jetzt hofft er, dass er mit seiner Idee auch Touristen begeistern kann.
Damit tut sich Jozef Hromjak leicht. Der bescheiden wirkende Koch des Jahres 2012 ist der beste Botschafter der slowakischen Küche. Zwar kocht er im Restaurant des Hilton Doubletree auch international, aber am liebsten verwandelt er bodenständige Gerichte wie Ravioli und Spätzle mit Schafskäse durch raffinierte Zutaten in Leckerbissen für Gourmets. Ganz so als sich hätte der 33-jährige Familienvater das Motto des Kulturhauptstadtjahres „Transformation“ einverleibt.

Was wohl Sandor Marai zum Aufbruch seiner „kleinen feinen Stadt mit den schönen Renaissance-Fassaden“ gesagt hätte? Bestimmt hätte er den Kopf geschüttelt über das gigantische Einkaufszentrum, das den Blick auf die autofreie Hauptstraße mit dem hohen gotischen Dom und dem prachtvollen Theater in der Mitte verstellt. Wahrscheinlich hätte er sich auch gefragt, warum manche der Fassaden so prachtvoll restauriert sind, während bei anderen schon der Putz bröckelt. Und er hätte sich gewundert, dass auf der Vorderseite des Gotischen Hauses ein Billardsalon und ein Pizzaladen großformatig werben. Aber dann hätte er sich vielleicht in eines der schnuckeligen, kleinen Cafés gesetzt – nicht gerade in die Bahnhofshalle des Kaffeehauses Aida im eher heruntergekommenen Andrassy Palais –, das Leben an sich vorüber ziehen lassen und sich seine Gedanken gemacht. 

Jozef Hromjak rät zu:
Kartoffelpuffer mit Mohn und Nüssen 
Für acht Personen:
Zutaten:
1500 Gramm Kartoffeln
• 300 g mittel-grobes Mehl 
• Salz
• 250 g Butter 
• 250 g echter Mohn ungemahlen 
• 250 Gramm Walnusskerne
• 100 g Kristallzucker
• 100 Gramm Puderzucker
• 50 ml Milch
Die Kartoffeln in der Schale kochen. Bevor sie abgekühlt sind, die Butter bräunen.

Foto: Vladimir Mulik

Mohn mahlen, die Hälfte Puderzucker dazugeben, ebenso eine Prise Salz. Das Ganze mit heißer Milch aufgießen. Dann die Nüsse fein hacken, den restlichen Puderzucker dazu geben und mit wenig kochendem Wasser verrühren.
Kartoffeln schälen, fein reiben, Mehl hinzufügen und zu einem Teig kneten. Teig auf bemehlter Unterlage zu einer Rolle formen, in 50 Teile schneiden, dann flach (etwa zwei oder drei Millimeter dick) auswallen und Pfannkuchen backen. Eine Hälfte mit der Mohn- die andere mit der Nußmasse füllen, mit Zucker bestreuen und mit reichlich brauner Butter übergießen. 
Schmeckt wie in der guten alten Weihnachtszeit! 

 

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