Ein Winter wie im Frühling

Des einen Freud’, des anderen Leid: Wintersportler auf der Suche nach dem Schnee
 
Die Freiluftcafes hatten Hochbetrieb, bei 16 Grad und Sonnenschein schmeckte die Latte Macchiato draußen besonders gut. Am Spitzingsee freilich musste der Skibetrieb eingestellt werden. Millionen waren in einen neuen Lift, Beschneiungsanlagen und Pistenraupen investiert worden. Aber bei diesen Temperaturen nutzten die besten Schneekanonen nichts. Und während mancher Bauer seine Kühe wieder auf der Weide grasen lässt, gibt es bei vielen Liftbetreibern im Allgäu lange Gesichter. Gerade mal 29 von 55 Aufstiegsanlagen sind offen, verrät die website www.allgaeu.info

Und nicht einmal darauf können Wintersportler so richtig abfahren. Nur
für Winterwanderer etwa empfehlen sich derzeit die Hornbahn in Bad
Hindelang
und die Hündlesesselbahn bei Oberstaufen. In Füssen ist zwar
die Tegelbergbahn offen aber kein Skibetrieb möglich. Das gilt auch für
die Breitenbergbahn Pfronten und die Buchenbergbahn Buching. Selbst in 
Bayerisch-Sibirien Balderschwang, als Schneeloch berüchtigt, sind nicht
alle Lifte in Betrieb und nicht alle Abfahrten möglich. Und obwohl die
Weihnachtsgäste – vorwiegend Familien – „hellauf zufrieden waren“, mach
sich  Bürgermeister Werner Fritz Sorgen: „Diese Woche sind wir noch gut
gebucht wegen der Hessen-Ferien. Aber nächste Woche wird’s kritisch –
auch was den Schnee angeht.“ Wenn sich das Wetter nicht ändere, müsse
man auch Lifte zumachen, fürchtet er. Für Balderschwang eine bittere
Pille, weil der Ort vor allem sportliche Gäste anzieht, die nicht mit
Winterwandern zufrieden zu stellen sind. „Wir können nur hoffen“, sagt
Fritz resigniert.

Augustin Kröll
, Geschäftsführer der Fellhornbahn GmbH und der
Kleinwalsertaler Bergbahn AG, lässt sich deswegen keine grauen Haare
wachsen und verweist auf Südtirol, das seit Jahrzehnten mit wenig
Naturschnee ausgezeichnet lebe. Bilder von grünen Wiesen, durch die
sich wie weiße Bänder die Pisten ziehen, hätten da noch keinen
Wintersportler vergrault. Und im Allgäu böte sich derzeit in der Höhe
„ein fantastischer Blick mit Winterstimmung in den Bergen, Sonne und
Höhenpanorama“. Am Nebelhorn, der Kanzelwand, dem Walmendinger Horn und
vor allem am Fellhorn, seien auch fast alle Anlagen in Betrieb und man
könne noch vernünftig Skifahren. Das ist für Kröll das Wichtigste, hat
doch das Fellhorn mit der neuen Bahn ordentlich aufgerüstet. Die 13,5
Millionen-Investition soll sich in sieben bis neun Jahren amortisieren.
Und dazu braucht man Skifahrer, die die Bahn auch nutzen. Von
Alternativangeboten für schneelose Zeiten hält der Bergbahnchef nichts.
Lieber denkt er an den letzten Winter, als es das größte Problem war
„mit den Schneemassen und der Kälte fertig zu werden“. Weil jeder
Winter anders ist, ist Kröll sicher: „Im Allgäu wird Skifahren auch
noch in 30 Jahren möglich sein.“
Das hofft man auch bei der Allgäu Marketing GmbH. Trotzdem machen sich
die Touristiker Gedanken. Immerhin mussten   wegen Schneemangels das
Skijöring in Fischen und das Hundeschlittenrennen in Bad Hindelang
abgesagt werden. Dafür konnte man den Weltcup Nordische Kombination vom
schneelosen Schonach nach Oberstdorf holen: Schneekanonen sorgten für
die nötige weiße Unterlage ebenso wie bei der Vierschanzentournee und
der Tour de Ski in Oberstdorf. Weil die Urlauber nicht mehr „nur Ski
fahren wollen“, so die Erfahrung der Tourismusverantwortlichen, habe
man Alternativen entwickelt wie den „Blue Day“ für Schulklassen, bei
dem sich   Jugendliche Funsportgeräte für den Spaß im Schnee ausleihen
können. Wenn der Schnee auch dazu nicht ausreicht, böten sich Nordic
Walking und Winterwanderungen auch ab der Bergstation an, zählt Simone
Zehnpfennig
von der Allgäu Marketing GmbH auf, und natürlich Wellness
in den Hotels oder Bädern.
Das interessiert Dr. Gerhard Vanzi von Dolomiti Superski eher weniger.
„Wir sind Liftbetreiber“, stellt er klar, „und möchten den Skifahrern
beste Bedingungen zum Skifahren bieten.“ Die gäbe es derzeit überall im
Gebiet von Dolomiti Superski, also zwischen Südtirol und dem Trentino,
dank des Schneefalls vom 9. Dezember, der den Dolomiten 20 bis 60
Zentimeter Neuschnee bescherte. Trotzdem weiß Vanzi, dass die
Skigebiete im Norden Italiens schon bisher nur dank der künstlichen
Beschneiung überleben konnten. „Kunstschnee ist wichtig für die Bildung
einer guten Schneeschicht“,  erklärt er. Bei „steigender Frequenz von
Skifahrern“ – bisher wurden zwölf Prozent mehr Skipässe verkauft als im
Vorjahr – sei Kunstschnee selbst in schneereichen Wintern unersetzlich.
Dafür ist den Betreibern kein Preis zu hoch. Der Bau einer Schneeanlage
schlägt mit rund 500 000 Euro pro Pistenkilometer zu Buche. Und um am
Anfang des Winters das Skikarussell zu beschneien, werden 15 Millionen
Euro verpulvert. Noch einmal fünf Millionen kostet die Instandhaltung
der Pisten mit Kunstschnee während der Wintersaison.
Auch in St. Anton kann beschneit werden, aber das Wintersportmekka am
Arlberg profitiert derzeit noch vom Schneefall, der Anfang Januar die
Pisten in Watte packte. Tourismusdirektor Martin Ebster spricht von
perfekten Pisten und „einer Unmenge Eintritte ins Skigebiet“. Von
Januarloch keine Spur. Problematisch seien nur Touren außerhalb der
Pisten: „Da ist die Lawinengefahr zu groß“. Klimaerwärmung ist für
Ebster kein Thema. „Jeder Winter belehrt uns eines Neuen“, wehrt er ab
und verweist auf den letzten Winter, „da dachten wir schon, wir hätten
bald eine neue Eiszeit“.
Eis und Schnee in Hülle und Fülle gibt es derzeit in Zermatt „226
Pistenkilometer offen und im Skigebiet fast zwei Meter Schnee“
vermeldet Eva Flatau von Zermatt-Tourismus. Jetzt kämen viele, die
andernorts keinen Schnee gefunden hätten, registriert sie und rechnet
damit, dass dieses Jahr das letztjährige Rekordjahr mit 1,85 Millionen
Übernachtungen noch übertreffen werde. Zukunftssorgen und
Alternativgedanken macht sie sich keine: „Zermatt ist absolut
schneesicher und wird es auch in Zukunft bleiben – auch wenn die
Gletscher zurückgehen.“
Anderen Touristikern bleibt der Trost, dass Wetterkapriolen nichts
Neues sind. Augustin Kröll hat in 17 Jahren Oberstdorf den kältesten
und drei der schneereichsten aber eben auch warme und schneearme Winter
erlebt. Gerhard Vanzi erinnert sich daran, dass im Winter 1988/89 der
erste Schnee in den Dolomiten bis 19. Februar auf sich warten ließ, im
Winter 1989/90 gar bis 3. März. Und Bürgermeister Walter Fritz hat gar
eine heiße Geschichte ausgegraben. Im Januar 1963 brannte in St. Anton
eine Skiabfahrt, es lag null Schnee auf der Piste. Damals wäre selbst
der derzeitige Nassschnee eine Wohltat gewesen.

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