Manche der Seen, die der Aussichtsturm „Siebenseenblick“ verspricht, kann man nur ahnen und neben dem großen und kleinen Krebssee, dem Gothensee und dem Schmalensee zählen auch das Stettiner Haff und das „Achterwasser“ dazu – und auf hartnäckige Nachfrage auch „der“ Ostsee. Pingelig darf man mit den Begriffen nicht sein, wenn man in Usedom auf Insel-Safari geht. Auch die Big Five sollte man nicht erwarten, wenn man vom Dach des Landrover Defender aus in die weite Landschaft späht, die sich übersichtlich bis zum Horizont wellt.
Statt Löwen bekommen wir Seeadler zu Gesicht – immerhin hat Usedom die
größte Population der majestätischen Greifvögel. Statt Nashörnern sehen
wir Milane in der Luft, statt Elefanten Störche im Feld, statt Leoparden
fischende Kormorane und statt afrikanischen Büffeln einen
ausgewachsenen Bullen. Exotisches hat die Insel auch zu bieten, Strauße
auf einer Farm und grasende Lamas. Und doch weckt diese Fahrt auf
Abwegen mit ihrem Auf und Ab durch Felder und Wälder, durch Wiesen und
Bilderbuch-Dörfer Safari-Gefühle. Die Kamera ist jederzeit schussbereit.
Die Fotomotive drängen sich geradezu auf: Stare, die wie eine dunkle
Woge über einem Getreidefeld schweben, Seen wie silberne Spiegel, blaue
Kornblumen zwischen den Ähren, ein Reh am Waldrand, die Kulturmühle
Benz, weithin sichtbar und als Motiv von Lyonel Feininger weltberühmt.
Auch den deutsch-amerikanischen Maler hat Usedom fasziniert, wo er von
1908 bis 1921 mit Frau und Söhnen Meer-Urlaub machte, Radtouren
unternahm – und natürlich malte. Hinter der Benzer Mühle, fast gänzlich
von Brombeerdornen versteckt, markiert eine Bronzeplatte im Boden den
Standort, von dem Feininger aus sein Motiv malte. Es ist die Station
Nummer 8 auf dem 56 Kilometer langen Rad-Rundweg auf den Spuren des
Künstlers, der vor einem Jahr eingeweiht wurde.
Auf unserer Safari kommen wir immer wieder auf diesen Weg zurück.
Schließlich wusste Feininger, wo die Insel am schönsten ist. „Ich bin
inmitten der Motive, die ich liebe und die mich inspirieren“, hat er von
einem Usedom-Aufenthalt geschrieben. Auch Uwe, Gunnar und Hagen, unsere
Fahrer (Vater und Söhne), wissen, wo es auf Usedom Dinge zu sehen gibt,
die dem normalen Touristen verborgen bleiben. Die „Riesensauerei“ zum
Beispiel, ein riesiges, umzäuntes Gelände mit Büschen und seltsamen
Wellblech-Containern, die sich bei genauerem Hinsehen als Ferkel-Krippen
entpuppen. Stolz führt eine mächtige Muttersau ihren quietschfidelen
rosaroten Nachwuchs spazieren. Eine andere schnuppert neugierig am Zaun,
während ihre Ferkel sich ängstlich hinter ihrem breiten Rücken
verstecken. Zwischen den Büschen sind noch mehr Schweine zu ahnen, eines
suhlt sich mit Wonne in einem Dreckloch. Gäb’s den Metzger nicht, der
auch auf diese glücklichen Viecher lauert, möchte man hier glatt Schwein
sein.
Späßchen gibt’s als Dreingabe. „Wir haben auch Sechstausender auf der
Insel“, sagt Gunnar, und als seine Zuhörer ratlos in die eher flache
Landschaft starren, fügt er augenzwinkernd hinzu, „in Millimetern
gezählt“. So gesehen ist der Kückelsberg mit dem hölzernen
Aussichtsturm, von dem aus wir in das entwässerte Moor des Thurbruch
schauen, mit seinen 580 Metern fast ein Sechstausender. Bei der
ehrgeizigen Trockenlegung des Gothensees ging der Landadel pleite,
erfahren wir. Reste der Dämme sind im Gothensee noch zu sehen.
Am sandigen Ufer des Achterwassers ist dann Picknick angesagt. Gunnar
hat den Kräuterkäse gemacht, Papa Uwe die Marmelade eingekocht, Hagen
die Zutaten gekauft. Über offenem Feuer brät Uwe in schäumender Butter
frischen Zander, der besser schmeckt als so manches raffinierte
Fischgericht vom Sternekoch. Es gibt Pommerschen Schinken,
Bismarckheringe süßsauer und resches Schwarzbrot in dicken Scheiben.
Dazu ein Gläschen Weißwein für die Gäste und Wasser für die Fahrer.
Wie beim Picknick arbeiten Vater und Söhne auch in der Firma Hand in
Hand. Uwe, 58 und mit grauer Haarbürste, war mal Buchhändler, dann
Buchbinder und –Drucker und kam über einen Urlaub auf Zypern vor elf
Jahren auf die Safari-Idee. Er war der erste, der den Safari-Gedanken
nach Deutschland brachte. Später stiegen die Söhne mit ein. Leicht
hatten sie es nicht immer, sagt Hagen, mit 31 der jüngste und schmalste
im Trio. Sechs Jahre dauerte die Durststrecke und bis heute ist der Job
für ihn „ein Beziehungskiller“. Nur im Winter hätte er Zeit für eine
Partnerin, klagt er, im Sommer ist er von sieben Uhr morgens oft bis
spät in die Nacht in Sachen Safari beschäftigt. Trotzdem sind die Brüder
von der Idee überzeugt. „Wir schnappen uns unsere Usedom-Touristen und
entführen sie in die Inselwildnis“, beschreibt Gunnar, 34 und drahtig,
die „Philosophie“ des Gemeinschaftsunternehmens. Die Idee kommt an, die
Safaris sind den Sommer über fast ausgebucht und manche der Mitfahrer
kommen immer wieder, alte und junge. Der älteste Fahrgast war 90,
erinnert sich Hagen, der jüngste fast fünf Monate. Auch „eine goldene
Hochzeit“ hatte er schon im Jeep.
„Safari ist das Suaheli-Wort für Reise“, erklärt Gunnar. Die drei Männer
sehen ihre Touren auch als Reisen für alle Sinne. Wir hören: Ein
Froschkonzert. Wir sehen: Einen Graureiher im Ufer-Dickicht. Wir
riechen: Das Meer. Wir fühlen: Eine Mückenattacke. Wir schmecken:
Frischen Fisch. Nach dem Picknick steigen wir wieder dem Jeep aufs Dach
und weiter geht die Achterbahnfahrt auf sandigen Wegen, die mal steil
nach unten, dann wieder kurvenreich nach oben führen. Ganz so flach wie
auf den ersten Blick ist Usedom doch nicht, räumen wir am Ende fast
zerknirscht ein. Die drei Männer grinsen. Sie haben’s mal wieder
geschafft, ihre Gäste zu überraschen.
Info: Die kleine Insel- Safari auf Usedom, etwa sieben Stunden, kostet 114
Euro pro Person mit Picknick, Getränken und Kaffeepause. Für die große
Tour, die bis zu zwölf Stunden dauert und auch das Abendessen
beinhaltet, muss man 152 Euro rechnen. Im Winter sind die Touren
billiger. Alle Touren müssen im Voraus gebucht werden. Kontakt:
Insel-Safari Usedom, Tel. 0172/31 666 34, E-Mail: info@insel-safari.de,
www.insel-safari.de