Des Lebens Unvollkommenheit: Bernhard Schlinks „Sommerlügen“

Dies sind keine Geschichten für Menschen, die zu Trübsinn neigen. Denn die Short Stories von Bernhard Schlink handeln allesamt von der Unvollkommenheit des Lebens, von der vergeblichen Suche nach Liebe und Glück und von den Lebenslügen, die mehr sind als nur die Lügen eines Sommers.

Der Titel passt vielleicht am besten zur ersten Geschichte, der eines
Mannes, der unfähig ist, sein altes Leben der neuen Liebe zu opfern oder
auch zur zweiten Geschichte, die von einem Mann erzählt, der seiner
Geliebten verheimlicht, dass er mit einer Freundin die Nacht in
Baden-Baden verbracht hat, obwohl alles rein platonisch war und der sich
in ein Netz von Lügengespinsten verstrickt – nur um den ersten Fauxpax
aus der Welt zu schaffen. Dann ist da noch der Mann, ein erfolgloser
Schriftsteller, der seine Frau vor aller Welt im Wald verstecken will,
weil ihr Erfolg seinen Lebenstraum zu gefährden droht oder der Fremde im
Flugzeug, der seinem Nachbarn eine wilde Geschichte von Entführung und
Tod erzählt immer am Rand der Glaubwürdigkeit. Gescheitert ist auch der
krebskranke Alte, der einen letzten Sommer mit seiner Familie erleben
will, möglichst unbeschwert vom Wissen um sein unausweichliches Ende,
das er mit einem tödlichen Cocktail selbst bestimmen will. Auch der
Sohn, der auf einer Reise seinen Vater kennenlernen will, bleibt ohne
die erhoffte Antwort: „Nein“, sagte er, „ich weiß nicht, wer du bist.“
Sein Vater lachte leise. „Oder es gefällt dir nicht.“
Schlinks hellsichtig pessimistische Weltsicht konzentriert sich in der
letzten Geschichte von der alten Frau, der nach Geruchs- und
Geschmackssinn dieLiebe zu den Kindern und Enkeln abhanden gekommen ist –
was sie als eine Art Verstimmung registriert. „Das ist das Ende der
Liebe, dachte sie. Mit dem anderen so einsam sein, als wäre man ohne
ihn.“ Ist es Zufall oder Schicksal, dass sie bei der Begegnung mit ihrem
ersten Geleibten sich selbst auf die Spur kommt und sich eingestehen
muss, ihr ganzes Leben auf eine Lüge aufgebaut zu haben?
Alle Geschichten haben ein offenes Ende. Unheilbare Optimisten können
also weiter träumen. Doch die Logik der Erzählungen legt nahe, dass sie
sich damit nur selbst etwas vormachen. Anderseits lässt sich das Leben
so vielleicht leichter ertragen.
Info: Bernhard Schlink, Sommerlügen, Diogenes, 288 S., 19,90 Euro

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