Der wilde Friedrich

Sämtliche Werke in fünf Bänden: Gedichte - Dramen 1, Dramen 2, Fragmente - Übersetzungen - Bearbeitungen, Historische Schriften, Erzählungen - Theoretische Schriften: 5 Bde.
(Buch)
Autor: Friedrich von Schiller
Verlag: Dtv
Erschienen am: 2004-11
Seiten: 5808
ISBN: 3423590688

Am 9. Mai vor 200 Jahren starb Friedrich von Schiller. Grund genug, sich mit dem Klassiker intensiver zu beschäftigen. Zum Beispiel mit seiner Jugend, die er im Schwabenlande verbrachte und die er selbst später als düster und traurig bezeichnet.

Freude trinken alle Wesen An den Brüsten der Natur, Alle Guten, alle Bösen folgen ihrer Rosenspur. Küsse gab sie uns und Reben, Einen Freund, geprüft im Tod, Wollust ward dem Wurm \x14gegeben, Und der Cherub steht vor Gott.

So kennen wir unseren Schiller. Die dritte Strophe der Ode an die Freude, durch Beethovens 9. Symphonie weltberühmt, zeigt den Dichter der Freiheit auch als Genussmenschen. Und genießen wollte Friedrich, von den Seinen Fritzle genannt. War es ihm doch lange Zeit unmöglich, so zu leben wie er wollte. Da war das strenge Regiment des Vaters, der nach einer Lehre als Barbier und darauf folgenden Wanderjahren ­ die ihn auch nach Nördlingen führten ­ als Feldscher arbeitete und sich in den Diensten Carl Eugens von Württemberg zum Hauptmann und „Obergärtner” an dessen Lustschloss Solitude hocharbeitete. Und da war die gestrenge Carlsschule in Ludwigsburg, in die der Herzog den hochbegabten Jungen zwang. 15 lateinische Bücher, 43 Kreuzer und einige Kleidungsstücke trug der 13-jährige 1772 bei sich, als er „mit zerrissenem Geist” an der Hand des Vaters zur Hohen Carlsschule in der Solitude marschierte, wo er als Schüler 474 registriert wurde. „Durch eine traurige düstere Jugend schritt ich ins Leben hinein,” schrieb Schiller als 30\¬Jähriger. Tatsächlich ließ ihm die „herz- und geistlose Erziehung” nur wenig Freiräume. Der Tagesablauf war rigide verplant vom Aufstehen um 5 Uhr über Musterung, Rapport, Unterricht bis zur Schlafenszeit um 21 Uhr. Und selbst dann gab es keine Privatsphäre. Im Schlafsaal mussten die Türen stets geöffnet sein. Carl Eugen fühlte sich als Vater und er nahm sich alle Rechte eines Vaters heraus. Als die Schule 1773 nach Stuttgart umzog, galt sie zwar als eine der prachtvollsten und modernsten überhaupt. Doch die Schüler hatten anderes im Sinn als das militärische Erziehungsideal des Herzogs. Vor allem Schiller. In Ludwigsburg hatte das Fritzle wohl mit großen Augen die prachtvolle Hofhaltung des Landesvaters betrachtet und sich fürs Theater begeistert. Doch gleichzeitig hatte der aufgeweckte Bub in seiner Familie auch die Not gespürt, in welche die fürstliche Verschwendungssucht das Volk stürzte. In der Carlsschule erlebte der Eleve, der durchaus die Aufmerksamkeit des Herzogs geweckt hatte, den Despotismus im Kleinen unter dem Direktor Christoph Dionysos Seeger ­ übrigens ein Urahn des berühmten Folk-Sängers Pete Seeger.

Schiller ließ sich nicht disziplinieren, auch wenn er auf Wunsch des Herzogs zum Doktor der Medizin promovierte. Wie im Film Der Club der toten Dichter scharte er einen Kreis Gleichgesinnter um sich, denen er aus seinen poetischen Gehversuchen vorlas. Sein Fanclub kannte wohl auch Auszüge aus Die Räuber, ehe das Drama 1782 in Mannheim uraufgeführt wurde. Auf einem Bild ist zu sehen, wie der junge Dichter im Bopserwald seinen Freunden aus dem Drama vorliest. Die Räuber, die der arme Poet im Selbstverlag drucken ließ, machten aus dem unbekannten Regimentsmedikus über Nacht einen Star. Der „Dichter der Freiheit” war geboren. Das Publikum lag ihm zu Füßen. Nur einer teilte die allgemeine Begeisterung nicht: Der Herzog verdonnerte den unbotmäßigen Schreiberling, der Stuttgart ohne Erlaubnis verlassen hatte, zu 14 Tagen Arrest. Noch schlimmer, er verbot ihm fürderhin jede literarische Tätigkeit.

Damit jagte Carl Eugen das junge Genie endgültig aus dem Schwabenland. Denn Schiller wollte nichts lieber als dichten. Freilich, ein Kostverächter war er auch nicht. Seine Gedichte an Laura, in denen „Nektarquellen” sich auf „Wollustwellen” reimen, zeigen den jungen Mann auch in fleischlicher Hinsicht als Stürmer und Dränger. Die ersten Ergüsse galten der acht Jahre älteren Luise Dorothea Vischer, Schillers Wirtin in Stuttgart. Viele andere kamen nach ihr. Der Draufgänger hatte Affären und Amouren. Er schwärmte für Schauspielerinnen und verheiratete Frauen. Wie Charlotte von Kalb, die er 1784 in Mannheim kennen und lieben lernte. Erst das Werben um seine spätere Frau, Charlotte von Lengefeld, beendet 1789 diese Affäre. Allerdings galt seine Leidenschaft auch da noch eher der älteren ­ verheirateten ­ Schwester Caroline.

Wie im Lieben war der junge Schiller unmäßig in seinem Wunsch nach Freiheit. „Geben Sie Gedankenfreiheit” ist der Schlüsselsatz in Don Carlos. Das Volk feierte den „Weltbürger, der keinem Fürsten dient” wie einen Popstar und die französischen Jakobiner machten den Dichter der „Räuber”, den Ehrenbürger „Gillé” ­ wie die Franzosen ihn nannten. Es ist dieser radikale Schiller, der junge Leute bis heute begeistert. Für Matthias Schweighöfer, einen der Jungstars des deutschen Kinos und demnächst im Film als Schiller zu sehen, ist der Dichter „Rock‘n‘ Roll”. „Was Familie, Selbstmalträtierung, Verpflichtung zum Beruf und besonders die Liebe angeht”, sagt Schweighöfer, „da war er schon ein harter Zahn”. („Schiller” ist am 29.\x0e\x0eApril auf arte um 20.45 Uhr und am 4. Mai um 20.15 Uhr in der ARD zu sehen.)

Schiller, schon früh von Krankheit gezeichnet, forderte seinem Körper alles ab. Er war einer der ersten, der vom Schreiben leben wollte und es ­ mehr schlecht als recht ­ auch konnte. Und er starb verhältnismäßig jung, mit 45 Jahren, ausgepowert (Goethe wurde immerhin 82). „Only the good die young”, (Nur die Guten sterben jung) heißt es in einem Song von Iron Maiden und „Is death another birthday?” (Ist der Tod ein neuer Geburtstag?). Für Schiller war es so. Mit seinem Tod wurde der Dichter aus Schwaben erst recht zum Nationalhelden.

„Schiller muss kolossal in der Bildhauerei leben”, forderte Johann Heinrich Dannecker und machte den Schulfreund in der berühmten Büste zum Apoll, zum deutschen Heros. Und Schiller wuchs über sich selbst hinaus. Sein umfangreiches Werk wurde zum Kulturgut der Nation, er selbst zur Romanfigur und zum Leinwandhelden. Dass die Nazis ihn für sich reklamierten, ausgerechnet ihn, der im Wilhelm Tell zum Tyrannenmord aufrief, hat Schiller die Sympathie der Nachgeborenen gekostet. Die raue Wirklichkeit, die er in „Die Ideale” zitiert, hat den Dichter des Idealismus ­ den Lebenden und den Toten ­ arg gebeutelt. Sein Pathos ist uns heute fremd. Doch sein „trunk‘nes Herz”, sein ungezügelter Freiheitsdrang, sein Mut vor Tyrannenthronen und seine Vision von einer Völkerverständigung über alle Grenzen hinweg („Alle Menschen werden Brüder”) machen den vor 200 Jahren verstorbenen Klassiker fast schon unheimlich modern.

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