Es ist eine fremde, exotische Welt, in die Mia Coutos Roman „Das Geständnis der Löwin“ die Leser entführt. Eine Welt der geheimnisvollen Magie, voller Poesie aber auch voller Gewalt. Der Sohn portugiesischer Einwanderer und mosambikanischer Staatsbürger hat sowohl eine europäische Außen- als auch eine afrikanische Innenansicht vom dörflichen Leben in Mozambique. Das macht seine Romane so wichtig, vermitteln sie doch zwischen den Kulturen und den Kontinenten.
Bevor er ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller wurde, war Couto als Journalist tätig. Dieser Erfahrung hat er die sprachliche Disziplin zu verdanken, die er in den Dienst einer einfühlsamen, oft auch poetischen, Beschreibung der afrikanischen Lebenswelten stellt. Im „Geständnis der Löwin“ stellt er zwei Ich-Erzähler einander gegenüber, die alternierend ihre Sicht der Ereignisse schildern, die ein abgelegenes Dorf in Angst und Schrecken versetzt haben: Das Mädchen Mariamar und den Jäger Arcanjo Baleiro.
Mariamar ist die Tochter von „Assimilierten“, also von Schwarzen, die sich den portugiesischen Kolonialherren und deren Lebensweise angepasst haben. Im mittlerweile selbstständigen Mozambik bleiben sie Außenseiter. Als Mariamars Schwestern hungrigen Löwen zum Opfer fallen, gerät das Dorf in Aufruhr. Die Hoffnung der Einwohner richtet sich auf den Jäger Arcanjo Balero, der mit einem Schriftsteller anreist und über seinen Einsatz Tagebuch schreibt. Schon bei einer früheren Jagd hatte Mariamar diesen jungen Mulatten kennen- und lieben gelernt. Doch Baleiro hat sie längst vergessen und schwärmt von seiner neuen Liebe.
Wie die beiden Protagonisten kommen auch ihre beiden Erzählungen nicht zusammen. Im Gegenteil, es tut sich eine Kluft auf zwischen Mann und Frau, zwischen Glaube und Realität, zwischen dem selbstverständlichen Machismo der Bauern und dem Emanzipationsbestreben der jungen Frauen, zwischen der portugiesischen Firniss und der schwarzen Seele. Mia Couto kennt sie wohl. „Der Streit findet in einer anderen Welt statt“, lässt er den Jäger berichten, „einer Welt, in der die Toten und die Lebenden keine Übersetzung brauchen, um einander zu verstehen.“
Die Leser freilich müssen lernen, zwischen den Zeilen zu lesen wie der Schriftsteller lernen muss, hinter dem scheinbar Folkloristischem die tragische Realität zu erkennen. „Der Löwe“, ahnt der Jäger, „frisst nicht nur Menschen. Er verschlingt auch unser Menschsein.“ Für das Verständnis der rätselhaften Ereignisse ist die „Vorbemerkung“ unerlässlich. Hier schreibt Mia Couto, dass er von einer wahren Begebenheit zu seinem Roman inspiriert wurde. 2008 wurden 26 Menschen im Norden Mozambiks von Löwen getötet. Erst nach zwei Monaten gelang es den angeforderten Jägern die Tiere zu töten – auch weil die Menschen vor Ort ihnen suggerierten, die wahren Täter seien Bewohner der unsichtbaren Welt. „Nach und nach“, so Couto, „wurde den Jägern klar, dass die Rätsel, vor denen sie standen, lediglich Symptome sozialer Konflikte waren, die zu lösen ihre Möglichkeiten weit überstieg.“
Info: Mia Couto, Das Geständnis der Löwin, Unionsverlag, 270 S., 19,95 Euro
08Jul. 2015