Terry Pratchett, eigentlich Sir Terence David John Pratchett, hat seine Scheibenwelt verlassen und ist hinunter gestiegen in die Kloake Londons. Nein, nicht der zum Sir geadelte Schriftsteller selbst, sondern sein neuester Held; Dodger, ein wahrer Heros der Unterwelt. 17 Jahre alt ist der schlaue Schatzgräber, genauso alt wie sein Schöpfer war, als er die Schule verließ. Doch Dodger lebt in einer anderen Zeit, in einem London, das vor Dreck nur so starrt, wo Hygiene ein Fremdbegriff und das Elend allgegenwärtig ist. Hier, wo sich im alltäglichen Überlebenskampf jeder der nächste ist, rettet der Junge aus der Kanalisation eine junge Dame aus den Fängen von zwei Schurken, die sie übel zugerichtet haben.
Damit beginnt Dodgers Abenteuer, das ihn nicht nur in höchste Kreise führen wird, sondern ihm auch die Bekanntschaft von Mr. Charlie einträgt, dem ebenso emsigen wie neugierigen Journalisten – heute allseits bekannt als Charles Dickens. Neben Dickens führt Terry Pratchett in diesem höchst vergnüglich zu lesenden „Roman mit historischem Hintergrund“ auch den Politiker Benjamin Disraeli ein, den Gründer der Metropolitan Police, Sir Robert Peel und den Armutsforscher Hanrey Mayhew. Und er bedient sich mit diebischer Freude auch in der Literatur, indem er Dodger etwa auf den mörderischen Barbier Sweeny Todd treffen lässt, den, wie Dodger erfährt, seine Kriegserlebnisse traumatisiert haben. Oder indem er den alten Juden Solomon zu Dodgers väterlichem Freund macht. Eine späte Ehrenrettung für Isaac (Ikey) Solomon, den Dickens als Fagin in Oliver Twist als Bösewicht porträtiert hatte.
Die eigentliche Geschichte ist eher einfach gestrickt: Junger Mann rettet Mädchen aus den Fängen übelwollender Gesellen, die beiden verlieben sich und kommen am Ende auch zusammen. Pratchetts Kunstfertigkeit besteht darin, alle Einzelheiten detailreich auszuschmücken und den jugendlichen und äußerst mitfühlenden Helden wider Willen über und unter der Erde von einem Ende Londons zum anderen zu schicken, so dass die Leser möglichst viel über das damalige Leben in der Stadt erfahren. Darüber macht sich Dodger so seine Gedanken und Solomon oder auch Charlie helfen ihm auf die Sprünge, wenn er an seine Grenzen zu geraten droht. Vor allem in der Politik, wo der Junge zu seiner Verblüffung erfährt, dass der Staat nicht seine Feinde, sondern vor allem die Freunde ausspähe. Und später, als er selbst in die Rolle eines Kundschafters schlüpft, weiß er sein Wissen gezielt unter die Leute zu bringen – Edward Snowden lässt grüßen. Man sieht, dieses Buch hat’s in sich und Terry Pratchett, der vor fünf Jahren seine Angst publik gemacht hat, an Alzheimer zu leiden, hat sich selbst und seiner Fan-Gemeinde bewiesen, dass diese Angst unbegründet ist. Womöglich wird man noch mehr von Dodger hören.
Info: Terry Pratchett, Dunkle Halunken, IVI, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, 376 S., 19,99 ‚Euro