Das Dunkle im Menschen: Ursula Poznanskis „Saeculum“

Die Jugendjury hat sie für „Erebos“ mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Auch Ursula Poznanskis neues Buch hat das Zeug zum Bestseller. „Saeculum“ heißt es, nimmt Anleihen beim Blair Witch Project, beim Herrn der Fliegen oder auch bei „Die Welle“ – und ist doch etwas ganz Eigenständiges.
Bastian, der vom Vater unterdrückte Medizinstudent, lässt sich von der
hübschen Sandra überreden, mit ihr fünf Tage zu einem mittelalterlichen
Rollenspiel zu fahren. Stattfinden soll es in einem unzugänglichen Wald,
in dem eine schaurige Sage von einem grausamen Gemetzel und einem
Brudermord spielt. Das schreckt Bastian, der an alte Flüche ebenso wenig
glaubt wie an Gespenster, weniger als die Aussicht, fünf Tage mit
Menschen zu verbringen, die er nicht kennt. Und die ihn auf den ersten
Blick auch eher abschrecken: Iris etwa, das scheue Mädchen mit den
bunten Fusselhaaren oder Doro, die von ihren Wahrsage-Qualitäten
überzeugt ist. Paul, der schöne Schlaumeier, der für alles eine Lösung
hat, oder Ralf, der sich nur in einer Rüstung mutig fühlt. Dann wären da
noch die überirdisch schöne Lisbeth und ihr stets eifersüchtiger Freund
Georg. Der fette, gutmütige Typ namens Steinchen, Alma mit ihrem Hund,
Arno, Lars und Warze, die treue Seele.
Ein bunter Haufen also, mit dem man schon klar kommen könnte – auch ohne
die Segnungen der Zivilisation wie Brille oder Handy. Wenn denn alles
glatt ginge.
Doch schon am ersten Abend wird klar, dass nichts glatt geht. Erst
verschwinden Dinge, dann Personen. Steinchen holt sich eine Allergie,
gegen die Bastian machtlos ist, Arno fällt in eine Grube – und dann
stöbert Almas Hund auch noch einen Menschenknochen auf. Kann es wirklich
sein, dass ein Fluch über diesem Wald liegt? Bastian findet immer mehr
Hinweise darauf, dass die Sage vom Brudermord sich wiederholt. Kleine,
perfide Gedichte auf Baumrinde geschrieben.
Sandra ist ihm keine Hilfe bei seiner Suche nach einer Erklärung. Sie
war wohl nie das Mädchen, in das er sich beinahe verliebt hätte. Aber in
Iris hat Bastian eine Verbündete gefunden. Das Mädchen ist auf der
Flucht vor einem gewalttätigen Freund. Steckt er hinter den Anschlägen?
Doro heizt mit ihren dumpfen Prophezeiungen die Stimmung weiter auf,
immer verblüffender werden die Parallelen zwischen der Sage von einst
und den Geschehnissen von heute, und am Ende wird Bastian beinahe das
Opfer der Gruppenhysterie. Doch wer zieht die Strippen?
Poznanski legt viele Fährten, von denen die meisten in die Irre führen.
Bis zuletzt hält sie die Leser am Gängelband der Spannung, um bei einem
fulminanten Showdown eine verblüffende Lösung zu präsentieren. Diese
dramatische Zeitreise hat das Leben aller Beteiligten verändert. Hat sie
doch gezeigt, wie schmal der Grat ist zwischen Zivilisation und
Barbarentum. Die Angst vor dem Tod hat harmlose Jugendliche in wilde
Tiere verwandelt, die ohne Skrupel einen Menschen opfern würden. So weit
vom Mittelalter, seinem Aberglauben und seinen Ritualen sind wir wohl
nicht entfernt. Eine erschreckende Vorstellung.
Info: Ursula Poznanski, Saeculum, Loewe, 493 S., 14,95 Euro, ab 15 

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert