„Aufbäumen“ ist das – doppeldeutige – Motto des Würzburger Bergwaldprojekts. Geht es doch darum, sich gegen den Ausverkauf der Natur zu stemmen, auch indem da, wo es nötig ist, Bäume gepflanzt werden. „Wir wollen die Wald-Ökosysteme in ihrer Artenvielfalt stabilisieren“, sagt Geschäftsführer Stephen Wehner. Dabei ist das Bergwaldprojekt auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen.
Und die kommen in Scharen, wie Projektforscher Peter Naumann erzählt. Es sind Menschen zwischen 18 und 88 – Studenten und Manager, Forstleute und Ingenieure, Hausfrauen und Ärztinnen. Die über 1000 Plätze für den einwöchigen Freiwilligeneinsatz seien schnell vergeben. „Ein Wahnsinnspotenzial“.
Seit dem letzten Jahr ist auch die Deutsche Bahn mit im Boot, obwohl das Bergwaldprojekt kein Green-washing sein will. Mit dem „Megathema Ressourceneinsparung, begründet Peter Westenberger, Leiter Umwelt- und Nachhaltigkeitsinformation im DB Umweltzentrum, das Engagement für den Schutzwald. Mit 100 000 Euro hat die DB 2010 das Bergwaldprojekt unterstützt, 20000 Bäume wurden gepflanzt, 15000 davon im Allgäu. Das Geld kam vorwiegend aus der erstmalig erhobenen Schutzgebühr von einem Euro für die Städteverbindungen der Deutschen Bahn. Dass die dicke Broschüre, seit Jahren ein Bestseller, jetzt nicht mehr umsonst zu haben ist, hat noch eine positive Seite: Es muss weniger gedruckt werden. Bis zu 95 Prozent der Auflage, schätzt Westenberger, ließen sich einsparen, wenn nur diejenigen ein Heft mit nach Hause nähmen, die es wirklich brauchten. Alles andere sei „ökologischer Schwachsinn“ – und eine Gefahr für die Wälder.
Deshalb also das Wiederaufforstungsprojekt. Auch wenn die 15000 Bäume im Allgäu gerade mal ein Zehntel der nötigen Neupflanzungen sind, ist die Arbeit der Freiwilligen für Klaus Dinser von der Abteilung Schutzwaldmanagement in der Bayerischen Forstverwaltung, wertvoll, weil er jede Hand brauchen kann und weil die Arbeit am Schutzwald die Menschen für den Alltag sensibilisiere. Der 51-jährige Allgäuer mit dem dicken Schnauzer und dem kritischen Blick hinter Brillengläsern fühlt sich manchmal wie ein Rufer in der Wüste, wenn er etwa eine „effektive Bejagung von Rot-, Reh- und Gamswild“ fordert, damit die Jungpflanzen überhaupt wachsen können. „Jeder muss sein Schärflein dazu beitragen, dass der Wald bleibt“, sagt er.
Das tun die zwölf Freiwilligen, die mit Projektleiter Armin Dachs am Iseler ackern. Allein schon Weg zur Pflanzstelle bei Bad Hindelang-Oberjoch stellt Städter vor Probleme. Schmal ist er, glitschig vom Regen, steil geht es bei den 400 Höhenmetern teilweise bergan. Und steil ist auch der Hang, an dem das Dreck-verkrustete Dutzend arbeitet. Sie hauen mit Hacken Himbeer- und Brombeergestrüpp aus der Erde, schneiden mit der Handsense Farne und Brennesseln. Erst wenn alles frei ist, kann nach einem festen Schema gepflanzt werden.
Jonas Posselt trägt auf seinem Rücken eine Kiste mit jungen Fichten. Der 28-jährige aus Kempten studiert in München fürs Sonderschullehramt und findet bei der Arbeit in der Natur den Kontrast zum Studium in der Stadt. Gewöhnungsbedürftig ist für den langen Blonden das frühe Aufstehen. „Aber man wird auch sehr entlohnt“, sagt er und lädt seine Last vor einem Bär von einem Mann ab. Carsten Groth, der mit seinen roten Bart und dem breiten Gesicht wie ein irischer Landmann aussieht, ist Maschinenbauingenieur. Zum Bergwaldprojekt überredet hat ihn seine Freundin, die daheim in Freiburg die Werbetrommel gerührt hat.
Nächstes Jahr, erklärt der 44-Jährige und nimmt behutsam ein Bäumchen in die rechte Pranke, werde er auch für das Projekt werben und natürlich selbst wieder dabei sein. „Das ist doch ein sinnvoller Ausgleichssport.“ Und wenn es hier oben stürmt und regnet? Carsten Groth grinst. „Ich bin wetterfest.“ Schließlich gehe er als Drachenflieger bei jedem Wetter in die Berge.
Natürlich hat der Mann auch dann keinen Muskelkater, wenn er den ganzen Tag am Berg ackert. Aber vielleicht die schmale Frau mit den blonden Locken unter dem Käppi? Christel Schlüter schüttelt energisch den Kopf. „Noch nicht, aber das kann ja noch kommen.“ Die 55-Jährige ist „Schreibtischtäterin“ und auch zum ersten Mal dabei – „aus Neugierde“. Es wird nicht das letzte Mal sein. „Einmal im Jahr sollte das jeder machen“, sagt sie und hält Jonas auf, der beinahe über ihre kleine Fichte gestolpert wäre.
Dass „der Armin“ in den Pausen „immer ein bisschen Biologie gibt“, finden alle spannend. Der 33-jährige Förster mit den langen blonden Rastalocken unter dem orange-farbenen Kopftuch freut sich über das Interesse. „Es ist viel zu wenig Allgemeinwissen über den Wald im Umlauf“, kritisiert er. „Wie kann ich denn etwas schützen, das ich nicht kenne und verstehe?“ Das Bergwaldprojekt vermittle „ein Gefühl für unsere Abhängigkeit von der Natur“ – und für den harten Überlebenskampf. Bei der Pflanzung habe man sich alles von der Natur abgeschaut und setze die Bäumchen immer in Gruppen. „Meist kommt nur einer durch“, sagt der Förster. Schließlich sei der Bergwald eine „Kampfzone“.
Auf dem von den Stürmen Vivian und Wiebke verwüsteten Ornach-Hang, der seit 1982 bepflanzt wird, kann man sehen, wie schwierig die Aufforstung ist: Die oft verkrüppelten Bäumchen verlieren sich fast auf der grünen Wiese. Schutzwaldpflege im Allgäu ist offensichtlich eine Sisyphos-Arbeit. Aber wie heißt es bei Camus: „Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Info: Das Bergwaldprojekt arbeitet seit über 20 Jahren an vielen Einsatzorten in Deutschland und Europa für den Schutz und Erhalt der Wald-Ökosysteme. Bei den einwöchigen freiwilligen Waldarbeitswochen kann jeder mitmachen, der den 18. Geburtstag hinter sich hat. Die Teilnahme ist kostenlos, die Freiwilligen wohnen und essen umsonst, oft in Forsthütten. Die Anreise muss bezahlt werden. Kontakt: Bergwaldprojekt e.V., Pickelstr. 2, 97080 Würzburg, Tel. 0931/4526261, E-Mail: info@berfwaldprojekt.de, www.bergwaldprojekt.de