Leichen im Keller: Ingrid Nolls „Ehrenwort“

Der 90. Geburtstag ist für die wenigsten wirklich ein Grund zu feiern. Für viele Angehörige sind die Alten nur eine Last und sie selbst leiden darunter, immer mehr zum hilflosen Kleinkind zu regredieren.

Auch dem alten Knobloch in Ingrid Nolls „Ehrenwort“ geht es nicht
anders. Dass er überhaupt 90 wird, hat er seinem Enkel Max zu verdanken,
der den Opa nach einem Sturz und der nachfolgenden Operation mit
Vanillepudding wieder ins Leben zurückgeholt hat – vielleicht auch, weil
er den Geldesel nicht verleiren wollte, der für jeden kleinen Dienst
prompt bezahlte. Seinen Eltern jedenfalls, bei denen er den
pflegebedürftigen Opa einquartiert hat, macht er einen gehörigen Strich
durch die Rechnung. Sie wollen den Alten so schnell wie möglich los
werden – koste es, was es wolle. Und so schmieden die guten Bürger
mörderische Pläne.
Ingrid Noll hat sich in ihrem Krimi, der eigentlich eine
Gesellschaftssatire ist, eines brisanten Themas angenommen, und wie
immer verblüfft sie ihre Leser durch überraschende Wendungen. Am Ende
sind zwei Schurken auf der Strecke geblieben, die Eltern sind wieder
zusammengerückt und Max hat seinen Weg gefunden. Happy end? Schuldig
geworden sind alle (auch der Opa in alten Zeiten) – aber wer kann schon
seine Hände in Unschuld waschen?
Geht es nach Noll haben wir alle unsere Leichen im Keller. Doch nur
selten liest sich eine Abrechnung mit unserer ichbezogenen Gesellschaft
so amüsant. Das liegt auch an der nachsichtigen Gelassenheit, mit der
Ingrid Noll
ihre Protagonisten vorführt. Zwischen all den Lügen, die ihr
gegenseitiges Verständnis verstellen, gönnt sie ihnen Augenblicke der
Anteilnahme, die hoffen lassen.
Info: Ingrid Noll, Ehrenwort, Diogenes, 336 S., 21,90 Euro

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