Alles andere als Blumenkinder: Henning Mankells „Daisy Sisters“

 Das Titelbild mit den zwei unbeschwerten Mädchen auf einer Wiese trügt ebenso wie der Titel „Daisy Sisters“, der so unbeschwert daher kommt. Dieser Roman des Wallander-Schöpfers Henning Mankell beschreibt alles andere als ein unbeschwertes Mädchen-Abenteuer in Blumenkinder-Manier. Dafür wäre der eher schwermütige Mankell wohl auch der falsche Autor. Allzu rasch werden die beiden Gänseblümchen (Daisys) geknickt, welken die Blütenträume der Mädchen, die sich so viel von ihrem Leben erwartet haben.

17 Jahre alt ist dieser Roman, ein Vorläufer der Wallander-Krimis also,
der schon viele der Elemente enthält, die diese Krimis auszeichnen:
Vereinsamung, Alkoholismus, Gewalttätigkeit als Folge von
Verunsicherung. Doch dies ist auch ein Drei-Generationen-Frauen-Roman
und da geht es um Selbstverwirklichung, Gleichberechtigung, um das
kleine Glück im Alltag. Alle drei Frauen – Mutter Elna, Tochter Eivor
und Enkelin Linda – gehören zu den kleinen Leuten, den Gänseblümchen
eben, die man gerne übersieht. Und doch haben sie alle drei eine Kraft
in sich, die ihnen hilft, im Laufrad des Alltags der totalen
Entmündigung zu trotzen.
Am schwersten hat es dabei Elna, die bei ihrem ersten Ausflug mit der lebenslustigen Brieffreundin Vivi 1941 von einem Soldaten vergewaltigt wird. Das Kind, das sie nicht haben will aber bekommen muss, macht
ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben zunichte. Mit 18 hat sie
ausgeträumt. Ihrer Tochter würde sie ähnliche Erfahrungen gerne
ersparen. Aber Eivor ist eigensinnig, will ihr Leben selbst in die Hand
nehmen – und scheitert, weil auch sie mit 18 ein Kind bekommt. Die Ehe
mit dem Vater des Kindes hält nicht, was Eivor sich erhofft hat. Aber
anders als Elna bricht sie aus, nimmt sich die „Freiheit“, als
alleinerziehende Mutter für alles verantwortlich zu sein. Zeit für
Träume bleibt da kaum und doch rafft Eivor sich immer wieder auf, Neues
zu versuchen. Nur um wieder zu scheitern, gegen die Wand zu rennen. Ein
Ausbruchsversuch beschert ihr noch ein ungeplantes Kind. Dabei hat sie
ihre liebe Not mit den beiden anderen, dem Sohn Staffan und der
Tochter, Linda. Beide sind dabei sich abzunabeln, ihr eigenes Leben zu
beginnen. Und obwohl Eivor ihre Kinder grenzenlos liebt, kann sie ihnen
nicht helfen, als sie am Abgrund stehen. Auch Linda erwartet  am Ende
ein Kind. Da ist sie gerade mal 18.
Mankell siedelt seinen Roman in der Zeit zwischen 1941 und 1981 an, er
erzählt in großen Zeitsprüngen und bettet seine Geschichte in die
gesellschaftspolitischen Entwicklungen Schwedens ein. Dabei zeichnet er
seine Charaktere kraftvoll und lebendig, auch die Nebenfiguren, die oft
ganze Kapitel tragen wie der alte Säufer Anders oder der junge
Kriminelle Lasse Nyman. Bis auf wenige Ausnahmen, starke Frauen wie
Elnas Freundin Vivi oder Eivors Kollegin Lisa, sind auch sie von der
schwedischen Krankheit gezeichnet, der Verzweiflung am Leben. Bei 550 Seiten ist die Ansteckungsgefahr groß.
Info: Henning Mankell, Daisy Sisters, Zsolnay, 558 S., 24,90 Euro 

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