Albanien zwischen gestern und morgen

Die erste Überraschung gleich zu Anfang: Tirana.  Nichts da von grauer Sozialismus-Tristesse. Statt dessen bunte Hausfassaden, Baukräne, Neubauten –  und ein  gigantischer Platz, an dem unser Hotel, das Tirana International,  als Blickfang in die Höhe ragt.  Der Skanderbeg Platz ist komplett autofrei und leicht kegelförmig ansteigend, so dass Wasser, das aus kleinen Fontänen rinnt und die Pflastersteine aus allen Teilen Albanien einfärbt, ablaufen kann.

Der zweite Blickfang ist das Nationalhistorische Museum mit der heroischen Wandmalerei aus den Zeiten Enver Hoxhas. Die Tiraner nehmen den 100 000 Quadratmeter großen  Platz, der 2018 mit dem Europäischen Preis „for urban public space“ ausgezeichnet wurde, dankbar an.  Wir lassen uns treiben, bummeln über das bunte Pflaster und staunen über die großzügige Achse, die bis zur Mutter-Teresa-Universität führt.

Am nächsten Tag geht’s auf Stadterkundung auf den Spuren des Diktators Enver Hoxhas. Seine protzige Villa im ehemals streng abgesicherten Viertel Blokku steht noch, und Guide Artur zeigt uns in einem eher unscheinbaren Haus die Fenster, hinter den Hoxhas Büro lag. Gleich daneben ein Stück der Berliner Mauer,  ein Geschenk der Stadt Berlin an „das albanische Volk“.

Was uns überrascht, ist die Dichte der teuren Autos, die im Ausgehviertel Blokku unterwegs sind. Sind die netten Cafés und originellen Kneipen, die vielen unbeschwerten jungen Leute, die bis spät in die Nacht feiern.  Aber Tirana ist nicht Albanien,  es ist auch nicht Albanien im Brennglas.  Und wir waren ja nur im Zentrum unterwegs, da, wo die Stadt hip ist und nur noch Reste des alten Tirana erhalten sind wie die Garagen-Läden beim Großen Basar.

Die Preise sind günstig. Einen Kaffee mit Brioche gibt’s für unter einem Euro, ein Bier für einen Euro.  Aber die Albaner verdienen auch wenig,  im Durchschnitt 300 Euro, erzählt der Studiosus-Guide Erkan Taskiran. Da fragt man sich schon, woher das Geld für die dicken Autos kommt, an deren Steuer vorwiegend junge Männer mit coolen Sonnenbrillen sitzen…

Auf der Fahrt übers Land werden die Autos bescheidener.   Am Straßenrand bieten Verkäufer gegrillten Mais oder frisch geerntete Früchte an.  Auf manchen Äckern sehen wir Bauern, die noch mit uraltem Gerät ihre Äcker bestellen und Strohbündel auf dem Rücken nach hause tragen.  Und  selbst auf die Autobahn verirren sich Pferdekarren. Viel Land liegt brach, die meisten Bauern besitzen kein Land, haben nur Nutzungsrechte auf oft sehr kleinteiligen Parzellen.

In Berat holt uns der Tourismus wieder ein.  Die Stadt der 1000 Fenster ist ein beliebtes Ziel, und die Festung mit der schönen Dreifaltigkeitskirche und dem Onufri-Museum sollte man sich nicht entgehen lassen.  Vorsicht: Der Weg ist steil,  bei Regenwetter können die Stufen rutschig sein.  Aber es lohnt sich. Die farbsatten Ikonen könnten viele Geschichten erzählen.

Wir stärken uns in einem kleinen Restaurant, wo der freundliche Wirt für ein paar Euro einen großen griechischen Salat und zwei Bier an den Tisch bringt. Rundum Verkaufsstände mit Selbstgemachten, Gehäkeltem, Gestricktem, Kleider, Hüte, Schmuck . Unter uns die Stadt wie ein Märklin-Dorf.

Die Geschichte von Albanien reicht weit zurück in graue Vorzeit,  auch die Griechen waren hier und natürlich die Römer.  Apollonia, heute eine Ruinenstadt, wurde 588 v. Chr. gegründet und war bis 500 n. Chr. eine wichtige illyrische Hafenstadt und einer der Ausgangspunkt der Via Egnatia. Es war wohl ein Erdbeben, das die Geschichte der Stadt beendete.  Heute ist Apollonia ein archäologischer Park, und im Museum sind einige der wichtigsten Funde zu sehen.

Aus den Steinen des großen Theaters wurde im 14. Jahrhundert die schöne Klosterkirche gebaut.  Wir hatten Glück und erwischten ein Zeitfenster zwischen zwei Besuchergruppen.  Drinnen flackernde Kerzen, meditative Stille,  ein Moment zum Innehalten, ehe es weiter geht nach Vlore, der quirligen Hafenstadt, wo am 28. November 1912 zum ersten Mal die albanische Flagge gehisst wurde.

Ein monumentales Heldendenkmal erinnert daran.  Gleich nebenan erinnert eine Bauruine an albanischen Größenwahn.  Der Rohbau gleich neben dem Altstadtviertel, das gerade sorgfältig restauriert wird, wurde von den  Behörden gestoppt.  Nun steht er da wie ein Mahnmal der Selbstüberschätzung.  Ein einsamer Arbeiter hockt im  leeren Untergeschoss.

Nebenan wird gepflastert, gemalt und gebaut.  Das heruntergekommene  Altstadtviertel wird herausgeputzt und wohl als Ausgehmeile neu erstehen.  Dann müssen  die kleinen Geschäfte weichen, die noch in den alten Häusern zu finden sind: Metzger, Krämer, Barbiere.

Über die Ceraunischen Berge führt eine kurvenreiche, enge und holprige Passstraße, wie sie wohl noch vor ein paar Jahren üblich war in Albanien.  Unser Busfahrer  Pedro meistert die Herausforderung souverän, umfährt die Schlaglöcher und nimmt die herausfordernden Kurven zum Llogara-Pass mit Bravour.  Die Aussicht ist grandios.  Hier ist Italien gerade mal 70 Kilometer entfernt. Die Straße von Otranto, in Albanien auch wegen der vielen Flüchtlinge, die hier ihr Leben ließen,  „Straße der Tränen“ genannt,  liegt unter uns.  Auch die Festung Porto Palermo, unter Hoxha U-Boot-Basis der albanischen Marine.

In der kleinen Stadt Himare in einer schönen Bucht  finden wir Strandcafés, wie wir sie aus früheren Zeiten auch aus Griechenland kennen.  Viele Einwohner sprechen griechisch – und sie kochen auch griechisch. Wir fühlen uns wie auf einer Zeitreise an diesem ruhigen Örtchen. Hier würden wir gerne länger bleiben. Doch den Sonnenuntergang erleben wir schon in Sarande, einer geschäftigen Hafenstadt.

Hier sind wir nicht nur dem Meer nahe,  wir können auch noch baden bei angenehmen 22 Grad. Und besonders schön klingt der Tag auf der Burg Lekuresi aus, heute ein gern besuchtes Restaurant, wo die Musik spielt und die albanischen Familien gerne feiern. Der Ausblick ist auch wirklich fantastisch, das Essen schmeckt, und beim gemeinsamen Tanz taut sogar unser sonst so kühl wirkender Guide auf.

Butrint nimmt uns mit in eine Zeit, als es Festspiele gab und Bäder, eine Prachtstraße und Villen.  Die Ruinenstadt ist Unesco Weltkulturerbe.  Hier könnte man tagelang durch Ruinen streifen und immer wieder Neues entdecken.  Auch die Christen haben hier sehenswerte Spuren hinterlassen. Kein Wunder, dass dieser Ort viel besucht ist,  auch als Kulisse für Hochzeitsfotos sind die Ruinen gefragt.

Wir wandern auf schattigen Wegen und haben immer wieder den See im Blick.  Erstaunlich, wie sich die Mengen von Touristen hier auf dem weit  verzweigten Gelände verlaufen.  Nur das berühmte Löwentor,  durch das alle müssen, die hinauf wollen zum höchsten Punkt, ist ein Nadelöhr.

Nein, es ist kein Löwe mit Hörnern, der hier zu sehen ist, sondern der Angriff eines Löwen auf einen Stier.  Und ein Stier gehört auch zum Gründungsmythos von Butrint. Demnach wollte Helenos, ein Sohn des Priamos, nach der glücklichen Flucht aus Troja in der Bucht vor dem heutigen Butrint einen Stier opfern.  Das Tier entkam, brach aber am Ufer tot zusammen. So kam Butrint zu dem Namen, der soviel bedeutet wie verwundeter Stier.

Der Ausblick ist spektakulär. Stolz weht die albanische Flagge über der Landschaft.  Wir machen eine Pause im einzigen Restaurant am Weg, ehe die Fahrt weiter geht nach Gjirokaster. Wieder sind wir auf einer kleinen Straße unterwegs, Müll säumt den Straßenrand, brach liegende Bewässerungsgräben, Beton-Skelette und immer wieder Schafe. Und dann die schiefergrauen Dächer von Gjirokaster,  wie Butrint Unesco-Weltkulturerbe.

Hier wurde Enver Hoxha geboren, der sein Land in die Isolation führte.  Seinem brutalen Regime fielen Tausende Albaner zum  Opfer,  viel mehr wurden in Lagern unter oft unmenschlichen Bedingungen interniert.  Als das Regime 1990 kippte, mussten die meisten Albaner erst wieder lernen,  mit der Freiheit umzugehen.  Das Geburtshaus des Diktators ist heute Heimatmuseum.  Aber es gibt Fotos von ihm. 

Nicht nur  Enver Hoxha wurde in Gjirokaster geboren, auch der Literaturnobelpreisträger Ismail Kadare stammt aus dem Örtchen, das von einer gigantischen Festung überragt wird.  Heute sind in den Gängen Kanonen und andere Waffen ausgestellt.  Auf dem spärlichen Gras warnt ein Schild vor dem Betreten.

Die Gänge sind verwirrend,  der Ausblick vom Festivalgelände – alle fünf Jahre findet hier das Nationale Folklorefestival statt,  2020 ist es wieder soweit – ist faszinierend. Man blickt weit in die Berge, die sich bis zum Horizont stapeln. 

Auch in Gjirokaster wird neu gepflastert und viel gestrichen.  Das Städtchen macht sich hübsch für die vielen Touristen, die in den Souvenirläden stöbern oder sich in den kleinen Restaurants entspannen.  Auch wir sitzen gemütlich  unter einer ausladenden Platane im Restaurant Kujtimi und lassen uns die Spezialität des Hauses,  gebratene Leber,  schmecken, ehe unser Bus sich wieder auf den Weg macht. Tagesziel ist das Örtchen Permet mit dem ikonischen Felsbrocken am Fluss.

Gleich neben unserem Hotel erzählt eine Art Scheunenkirche aus der Zeit,  als Enver Hoxha Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt machte.  Kirchen und Moscheen wurden zerstört oder anderweitig verwendet.  Nach dem Ende der Diktatur wurden viele neu gebaut.  Wo das Geld fehlte, wurden die missbrauchten  Räume wieder in Beschlag genommen und notdürftig möbliert.  Der Frömmigkeit tut die Kargheit keinen Abbruch.

Ganz anders ist die Situation in Korce.  Hier wurde die riesige orthodoxe Kirche mit großem Prunk neu erbaut. Sie überragt das Städtchen mit dem pittoresken Marktplatz, den kleinen Geschäften und einladenden Kneipen. 

Die Straße war schmal,  kurvenreich und von Schlaglöchern durchsetzt. Aber die Landschaft ist spektakulär.  Die grünblaue Vjosa ist einer der letzten ungezähmten Flüsse in Europa, und wir können nur hoffen, dass es so bleibt.  Albanien setzt auf Wasserkraft und plant nicht weniger als 16 Staudämme.  Das könnte diese Urlandschaft für immer runieren.

Noch wirkt alles fast archaisch. Ein Bauer führt seine Kuh am Strick wie in einem der Grimmschen Märchen,  Ziegen weiden am Straßenrand und zwischendurch lugen wie riesengroße Champignons Bunker zwischen Grashalmen hervor.  Enver Hoxha hat das ganze Land mit Bunkern überzogen.  Für jeweils vier Albaner war ein Bunker geplant, das wären 750 000.  Wie viele es letztlich geworden sind, weiß man nicht.  200 000 vielleicht.

Unser letzter Besuch gilt dem Mann,  auf den sich Enver Hoxha so gern berufen hat, Albaniens Freiheitshelden Skanderbeg.  Ihm begegnet man nicht nur in Tirana,  wo er vom Sockel aus den gleichamigen Platz überwacht, sondern vor allem in Kruje, wo Hoxhas Tochter  in der alten Festung  das Skanderbeg Museum hingestellt hat, das 1982 eröffnet wurde. Auf Monumentalgemälden werden die Taten des Helden gefeiert – auf einem davon hat sich Pranvera Hoxha als Gattin Skanderbegs verewigt.

Ihr Vater inszenierte sich als direkter Nachfolger des Freiheitshelden, der Albanien von den Osmanen zu befreien half – und das Museum sollte Hoxhas Ruhm mehren.  Dass sich an albanischen Feiertagen wieder Männer mit Hoxha-Fotos auf die Straßen wagen, ist eine Tatsache, die nicht nur so manchen Albaner ratlos macht.  Wir schauen noch einmal von der Festung über die schöne albanische Landschaft,  ehe es über überfüllte Straßen zurück in die Metropole Tirana geht und vom Mutter Teresa Flughafen aus heimwärts. 

Info:  Die Reise wurde unterstützt von Studiosus.
2020 hat der Münchner Studienreiseveranstalter die Kombination Albanien-Nordmazedonien, aus der diese Eindrücke entstanden,  acht Mal im Programm: https://www.studiosus.com

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