Es ist eigentlich eine ganz banale Geschichte: Eine junge ehrgeizige Schriftstellerin heiratet und wird nach einer Fehlgeburt Mutter. Das Baby scheint ihr das Kostbarste auf der Welt, eine Zeitlang lebt sie nur für die kleine Tochter, die ihr kaum Luft für anderes lässt – auch nicht für den Mann, den sie liebt.
Früher hatten sie sich alles gesagt, da war nichts zwischen ihnen. Trotzdem hatten sie ihre Liebesbriefe mit dem Absender „Amt für Mutmaßungen“ versehen, man kann ja nie wissen. Weil später nichts mehr ausgesprochen wurde, schwanden die Gewißheiten. „Ihr führt eine Ehe mit Samthandschuhen“, urteilt die Schwester. Die Frau ahnt mehr als sie wissen will. Die Wortlosigkeit breitet sich aus, bis sie vor einem Abgrund stehen. Mit fast masochistischer Lust stürzt sich die Frau in eine Woge des Selbstmitleids, die sie am normalen Alltag verzweifeln lässt, fast in den Selbstmord treibt. „Ihr Gehirn ist noch immer verformt“ konstatiert Jenny Offill lapidar. Das wird sich ändern, eine neue Umgebung, neue Herausforderungen, ein Glück für die Tochter, ein neuer Versuch.
Soweit der ganz alltägliche Inhalt. Doch Jenny Offill macht daraus ein Lese-Erlebnis. Manchmal wunderbar poetisch, immer klarsichtig und bis zur Selbstentblößung ehrlich beschreibt sie den Zwiespalt der Mutter zwischen dem eigenen Ehrgeiz, endlich ein zweites erfolgreiches Buch zu schreiben, und der behütenden Liebe zum Kind: „Bei manchen Frauen wirkt es so selbstverständlich, wie sie den Ehrgeiz ablegen, als sei er ein kostspieliger Mantel, der nicht mehr passt.“
Offill konfrontiert ihre Leser direkt, gönnt ihnen keine Distanz, lässt sie teilhaben an der Euphorie und der Wut, an den philosophischen Höhenflügen und den privaten Bauchlandungen. Eine Achterbahn der Gefühle.
Info: Jenny Offill, Amt für Mutmaßungen, DVA, 165 S., 17,99 Euro
12Nov. 2014