Am 8. Januar 2015 erfuhr Henning Mankell, dass er Krebs hat. „Das Gefühl, das mich überkam, war genau wie die Angst vor dem Treibsand“, schreibt der 67-Jährige rückblickend. „Ich sträubte mich dagegen, hinabgezogen und von ihr verschlungen zu werden.“ Gegen diese Angst hat der als Schöpfer des schwedischen Kommissars Wallander weltbekannt gewordene Autor ein Buch geschrieben. Es handelt „von meinem Leben. Dem, das war, und dem, das ist.“
Das kann natürlich kein Roman sein, es ist auch kein Sachbuch geworden, weil das Leben, um das es hier geht, keine Sache sein kann. Vielmehr legt Henning Mankell mit „Treibsand“ eine knapp 400-seitige Betrachtung vor, die er an Erinnerungen festmacht: So erfährt man in dem Buch unter anderem, dass er erst als 15-Jähriger seine Mutter kennengelernt hat, mit welchen Gefühlen er sein erstes Manuskript abgeschickt hat und welche Begegnungen dazu beigetragen haben, dass er sich für ein Leben als Autor entschied und dafür, einen Teil des Jahres in Mozambique zu verbringen und dort eine Theatergruppe aufzubauen.
Der Autor philosophiert über die Höhlenmalereien der Steinzeit und die Megalith-Bauten von Hagar Qim auf Malta ebenso wie über Géricaults „Floß der Medusa“ und Goyas Radierungen, über das Wesen der Zeit und die Zukunft. Er nimmt die Leser mit auf seine Reisen, in seine Träume und seine Gefühlswelten. Nicht immer ist der rückblickende Mankell zufrieden mit sich selbst. Wie andere auch, hat er hin und wieder die falschen Entscheidungen getroffen. Aber er schaut nicht zurück im Zorn. Der Kranke scheint sich ausgesöhnt zu haben mit dem was sein Leben war und ist. Seit der Krebsdiagnose, schreibt er, kämen ihm ganz unerwartete Erinnerungen in den Sinn. In dem Buch teilt er auch sie mit seinen Lesern, die dem sonst eher zurückhaltenden Schweden dadurch unerwartet nahe kommen.
Und doch wäre es falsch, in „Treibsand“ eine Art Biographie zu sehen. Mankell geht es vor allem auch darum, was bleibt, wenn wir nicht mehr sind – vom einzelnen Menschen und von dieser unserer Welt, die seiner Meinung nach mittlerweile so krank ist wie er selbst. Ihr Krebsgeschwür ist der Müll, den unsere Gesellschaft ohne Rücksicht auf kommende Generationen aufhäuft – vor allem der Atommüll. „Wenn alles Übrige von unserer Zivilisation vergangen sein wird, werden zwei Dinge zurückbleiben: das Raumschiff Voyager auf seiner ewigen Reise in den äußeren Weltraum und der nukleare Abfall in den unterirdischen Schächten“, schreibt er. Und doch will Mankell die Erde nicht verloren geben ebenso wenig wie sich selbst. „Für nichts ist es jemals zu spät“, ist er überzeugt. „alles ist immer noch möglich“.
Treibsand ist ein starkes Plädoyer für mehr Menschlichkeit, für Rücksicht, Gerechtigkeit und Toleranz und für ein Umweltbewusstsein, das diesen Namen auch verdient. Und es ist eine Aufforderung an alle, den Mut zu haben, nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Denn „unsere Fähigkeit, uns Fragen zu stellen, macht uns zu Menschen“.
Info: Henning Mankell, Treibsand – Was es heißt, ein Mensch zu sein, Zsolnay, 383 S., 24,90 Euro