Jenseits der Freundschaft

Schon der Titel zeigt, dass dies keine einfache Lektüre sein wird. Und der 30-jährige Niederländer Gideon Samson, der sich mit „Der Himmel kann noch warten“ als Autor für komplizierte Sachverhalte einen Namen gemacht hat, hält in seinem neuen bestürzenden Jugendroman, was der Titel verspricht. Gleich vorneweg, dies ist kein Buch für zarte Nerven. Und am besten liest es sich wohl mit Beipackzettel.
Denn Gideon Samson setzt bei seinen (jugendlichen) Lesern einiges voraus, wenn er die dramatische Geschichte einer Mädchenfreundschaft in drei Perspektiven erzählt und dazu noch mittels Vor- und Rückblenden. Zuerst einmal ist da Düveke, zwölf Jahre alt und eigentlich ein liebes Mädchen, das in einer „heilen Familienwelt“ aufwächst. Ihr Bruder Olivier (14) trägt einiges dazu bei, dass sich seine kleine Schwester wohl fühlt, denn er hat immer ein offenes Ohr für ihre Probleme. Und gegen die Eltern halten Geschwister sowieso zusammen, da können die Erwachsenen noch so wohlmeinend sein. Die dritte Perspektive ist die von Rifka, Düvekes beste Freundin und mit ihren zwölf Jahren – da verrät man nicht zu viel – ein ausgemachtes Biest.
Um diese drei kreist das mit einer schwarzen Zwischenseite auch dramatisch aufgemachte Buch, um ihre Schulsorgen, um Rifkas mehr oder weniger lustige Streiche, um den Tod eines kränkelnden Klassenkameraden, um Pubertät und erste Liebe. Doch von Anfang an schwingt ein bedrohlicher Unterton mit. „Davor“, „Danach“ und „Währenddessen“ heißen die drei Teile und auch diese Bezeichnung signalisiert, dass etwas Schreckliches geschehen wird, vielleicht schon geschehen ist. Aber was?
Rifka, die von der Trauerfeier für den kranken Jungen fasziniert ist, will Zeuge ihrer eigenen Beerdigung werden und inszeniert dafür mit der unwilligen Düveke eine „Entführung“. Läuft da etwas schief? Hat Düveke aufgegeben?
Mit großem Einfühlungsvermögen beschreibt Samson die Gefühle eines Mädchens, das von ihrer „besten Freundin“ schikaniert wird und erst allmählich durchschaut, welche Rolle ihr zugedacht ist. Düveke ist ein ängstliches Mädchen, auch deshalb bewundert sie Rifka, die scheinbar vor nichts zurückschreckt. Zu zweit, so glaubt Düveke, sind sie unschlagbar. Um diese einseitige Freundschaft zu erhalten, riskiert sie viel, auch das Vertrauen ihrer Eltern. Nur nicht das von Olivier. Denn der, das weiß sie, würde alles tun, um seine kleine Schwester vor Schaden zu bewahren.
Und Rifka? Für sie ist Düveke nur Mittel zum Zweck, dafür da, Rifkas Ruf als „King“ zu mehren. Dass Düveke einmal aufbegehren könnte, kann sie sich in ihrem Allmachtwahn nicht vorstellen. Und dann passiert es doch…
Samson seziert behutsam die ungleiche Freundschaft, lässt ahnen, wo erste Brüche entstehen. Erstaunlich, wie sehr er sich in Düveke einfühlen kann, in ihre Unsicherheit, ihre Verletzlichkeit, ihre Ohnmacht und – ihre Wut.
Distanz zu der sehr unmittelbaren und damit auch an die Nieren gehenden Erzählperspektive schaffen gegen Ende Zeitungsberichte über die verschwundene Rifka. Und schließlich weiß man auch den Spruch zu deuten, den Samson dem Roman vorangestellt hat: „Die Wahrheit ist nie genau das, was man sich darunter vorstellt“. Weil sie aber hart ist und grausam, sollten junge Leser mit diesem Buch nicht allein gelassen werden. Es bietet sich geradezu an als Schullektüre, weil es Mechanismen im Zusammenleben aufdeckt und Dinge anspricht, die gerne unter den Teppich gekehrt werden. Insofern ist Doppeltot ein wichtiges Buch.
Info: Gideon Samson, Doppeltot, Gerstenberg, 220 S., 14,95 Euro, ab 15

 

 

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