Andersen auf allen Bühnen der Stadt, im Kino und im Fernsehen. Andersen auf Festspielen, in Museen und in den Schulen. Man entkommt ihm nicht. Hans Christian Andersen ist allgegenwärtig in Kopenhagen besonders in diesem Jahr, in dem Dänemark den 200. Geburtstag seines Lieblingsdichters feiert. Königin Margarete hat die Schirmherrschaft übernommen und internationale Stars sind als Andersen-Botschafter weltweit unterwegs.
In Kopenhagen selbst, wo die märchenhafte Karriere des armen Jungen aus Odense begann, können Touristen wunderbar auf den Spuren des Märchenautors wandeln. Eine Schulklasse schart sich um das Andersen-Denkmal direkt gegenüber dem Tivoli. Hier rauscht der Verkehr vierspurig vorbei. Der Dichter stützt sich auf seinen Stock und denkt wohl darüber nach, wie anders es war, als er als 14-Jähriger in die Stadt kam.
Damals war Kopenhagen eine enge, ummauerte Stadt, in der neben 120\x0e000 Menschen noch 3000 Pferde, 1500 Kühe, über 700 Schweine und unzählige Hunde, Katzen und Ratten lebten. Die drangvolle Enge, den Dreck, die jämmerlichen hygienischen Verhältnisse jener längst vergangenen Zeit hat Andersen in seinem Märchen „Der Wassertropfen” beschrieben.
Denn der Junge vom Land lebte ja mittendrin. Seine paar Taler gab er für eine Unterkunft in der Vestergade Nr. 18 aus, damals ein kleiner Gasthof, heute „Heidis Bierbar”. Doch schon bald fand der seltsame Kerl mit der großen Nase und den ungelenken Gliedern wohlhabende Gönner, die ihn förderten. Und so wurde aus dem hässlichen jungen Entlein ein stolzer Schwan, der im Schloss ein und ausging und im Theater eine eigene Loge hatte.
Nur mit der Liebe wollte es nicht so recht klappen. Im heutigen Restaurant Olsen, wo gut gekleidete Gäste erlesen speisen, himmelte Andersen einst seine erste Liebe Rigmor Voigt an vergeblich. Und Jenny Lindt, die schwedische Nachtigall, hörte sich ebenfalls hier ziemlich ungerührt die Liebesschwüre des gealterten Charmeurs an. Eine Plakette im Restaurant erinnert an den Stammgast. Kein Glück in der Liebe, aber dafür jede Menge Verehrer. Nur Sören Kierkegaard, der Philosoph, blieb ein lebenslanger Feind. Die Fehde der beiden Geistesgrößen füllt Bücher. Doch Andersen konnte sich aussuchen, mit wem er reden, wo er zu Mittag essen und in welchem Salon er abends aus seinen Märchen und Romanen erzählen wollte. Ganz Kopenhagen stand ihm offen.
Nicht nur die Kinder hingen an seinen Lippen, auch die Erwachsenen waren entzückt über eine Welt, in der Leibbänder lieben und Laternen sprechen konnten. Wandert man mit Andersens Märchen durch Kopenhagen, erwacht seine Welt zum Leben. Und dazu braucht man nicht einmal ins neue „H.C. Andersen Eventyrhuset”, wo Märchenfiguren aus Plastik auf Knopfdruck losplappern. In der Köbmachergade steht unbeirrt der Runde Turm, wo Andersen gerne in der Universitätsbibliothek stöberte. Im Märchen vom Feuerzeug hat einer der Hunde „Augen so groß wie der Runde Turm von Kopenhagen”. Über den stufenlosen Wendelgang soll einst der König mit dem Zaren in der Kutsche hochgefahren sein. Auch ohne Kutsche lohnt der Ausblick von oben auf das Gewirr von kleinen Straßen, Hausgiebeln und spitzen Türmen. In der Körbmachergade mit ihren vielen kleinen Läden hat der Dichter die Bänder für seine Puppenspiele eingekauft auch seine Buchhandlung war hier.
Das Vorbild für seinen Soldaten oder auch den standhaften Zinnsoldaten hatte Andersen in Schloss Amalienborg vor Augen. Die Wachablösung lockt heute noch täglich Schaulustige an. Die Kerle in ihren schmucken Uniformen und den großen Pelzmützen, die mit Tornister und Säbel im Stechschritt paradieren, könnten geradewegs aus Andersens Zeit entsprungen sein wenn da nicht die Maschinenpistolen wären. Ganz in der Nähe vor dem Kunstgewerbemuseum steht noch das Gitter, das in den „Galoschen des Glücks” zur tückischen Falle wurde. In den weit auseinander stehenden Gitterstäben, die einst das Hospital abschirmten, blieb im Märchen der Held mit dem Kopf stecken. Für Dickschädel ist ein Selbstversuch denn auch nicht zu empfehlen.
Der ewig unbehauste Andersen kannte seine Stadt auch das Nyboder-Viertel, das nicht nur seiner ockergelben Fassaden wegen an die Augsburger Fuggerei erinnert. Das Wohnrecht für die putzigen Reihenhäuschen in der Löwen- oder der Krokodilsgasse wird hier unter den Angehörigen der Marine quasi vererbt. In einem der Vorgärten spielt das Märchen vom Fliedermütterchen.
Von diesem Matrosenviertel nahe des Kastells aus wanderte Andersen gern nach Rosenborg, dem Schloß mit den vielen Türmen, wo er die Prinzessin aus dem „Feuerzeug” wohnen ließ. In den königlichen Gemächern bestand die „Prinzessin auf der Erbse” den Prinzessinnentest. Und im Garten des Schlosses haben Verehrer den Dichter auf einen Sockel gehoben. Das Denkmal zeigt ihn mit großer Geste und einem Buch in der Hand. Wahrscheinlich schlenderte der Dichter auch in Langelinie am Ufer entlang. Hier sitzt seit 1913 die Kleine Meerjungfrau auf ihrem Stein das Wahrzeichen von Kopenhagen und eines seiner berühmtesten Märchen.
Gewohnt hat der berühmte Mann in vielen Häusern. Am längsten war er im malerischen Nyhavn zu Hause. Dort, wo auf der Seite mit den ungeraden Nummern in Spelunken und Bordellen die Sünde wohnte und auf der Seite mit den geraden Hausnummern die biederen Bürger, lebte der Dichter nacheinander in Haus Nr. 18, 67, 69 und 20. Eines seiner ersten Märchen „Die Blumen der kleinen Ida” entstand in Nummer 18 von da blickte er in den Botanischen Garten hinter Schloss Charlottenborg. Zwei Jahre vor seinem Tod zog der mittlerweile arrivierte und welterfahrene Dichter in die Nummer 20 und bestellte zu seinem Einzug unter anderem sechs Flaschen bayerisches Bier.
Den leiblichen Genüssen war Andersen sein Leben lang zugetan. Im Restaurant Els, das bis auf den Elchkopf heute noch so aussieht wie zu seinen Zeiten, können Besucher ein Gedicht lesen, das er zur Eröffnung schrieb, während sie sich das Carpaccio vom Thunfisch auf der Zunge zergehen lassen. „Gold vergeht, Schweinleder besteht”, reimte Andersen zu den Tapeten im Restaurant A Posta. Und siehe da, die Tapeten haben die Jahrhunderte überstanden. Märchenhaft war die Speisenfolge zum 70. Geburtstag des Dichters. Die Familie Melchior hatte in ihr Haus am Hojbro Plads geladen und ließ ein Menü servieren, dessen Speisenfolge nach Andersens Märchen benannt war.
Da passt es, dass im Andersen-Jahr nicht nur in der Porzellanmanufaktur Royal Kopenhagen Andersens Märchenfiguren Hochkonjunktur haben, sondern auch in der Konditorei La Glace Torten mit Andersen-Motiven. Jeden Monat dieses Jubiläumsjahres steht ein anderes Märchen Pate für eine Tortenkreation und die 13. trägt den Namen des Dichters.
07Mrz. 2005