Mirjam Pressler, die erfolgreiche Jugendbuchautorin, schreibt jetzt auch für Erwachsene
"Jetzt brauch‘ ich eine Zigarette", sagt Mirjam Pressler und setzt sich mit der Kaffeetasse zu mir an den Tisch. Der erste Eindruck: Eine quirlige Person, eher klein, zierlich, dunkel getöntes Strubbelhaar, beige Hose, beiger Pulli, Goldkette mit blauem Anhänger, Brille mit Goldrand, Augen wie Herbstmoos. Kein glatt gebügeltes Gesicht. Die 64-Jährige steht zu ihrem
Alter und zu ihren Falten. Immerhin hat sie auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse den Deutschen Bücherpreis für das Lebenswerk bekommen und sich darüber einfach nur gefreut, weil "so ganz selbstverständlich jemand aus dem Kreis der Kinder- und Jugendliteratur dabei war".
Sie hat schon vieles gemacht in ihrem Leben: Kunststudentin, Mutter, Kibbuzim, Übersetzerin, Kinderbuchautorin. Mit ihrem neuesten Buch "Rosengift" ist das Multitalent jetzt auch unter die Erwachsenenautoren gegangen. Groß ist die Umstellung nicht für Mirjam Pressler. "Die Grenzen sind ohnehin fließend." Auch als Jugendbuchautorin hat sie nie das Gefühl
gehabt, in eine Ecke gestellt zu werden. Was sie erreichen will ist, was Literatur bei ihr erreicht hat den Blick auf die Welt erweitern, ob im Jugend- oder im Erwachsenenbuch. Trotz des Rummels um Harry Potter & Co will Mirjam Pressler dem realistischen Jugendbuch treu bleiben. 30 Bücher hat sie schon geschrieben, darunter das preisgekrönte "Bitterschokolade"
über eine Außenseiterin, die ihre Erfahrungen in sich hineinfrisst. 2002 bekam sie für "Malka Mai" die Geschichte einer jüdischen Familie, die auf der Flucht vor den Nazis ihr krankes Kind zurücklassen muss den Deutschen
Bücherpreis.
Dass sie in den Büchern eigene Erfahrungen verarbeitet, hält sie für selbstverständlich: "In jedem steckt etwas von mir", verrät sie und:
"Manchmal bin ich ganz froh, dass der Leser nicht wissen kann, welcher Teil." Über ihre nicht ganz glückliche Kindheit sie wuchs bei Pflegeeltern auf redet sie nicht, aber sie schreibt darüber. Über beengte Verhältnisse und Flucht in die Träume, über Ängste und Aggressionen. Immer wieder. "Man versteckt sich hinter seinen Figuren", sagt sie mit der
Andeutung eines Lächelns.
Lieber spricht sie über ihre Töchter (35, 37 und 38 Jahre alt), die sie allein großgezogen hat und die alle drei "etwas geworden sind". "Darauf bilde ich mir was ein." Es waren die Bücher der Töchter, die sie zum Schreiben angeregt haben. Und weil die besten realistischen Jugendbücher damals aus Skandinavien kamen, hat sie sich ans Übersetzen aus dem Niederländischen gemacht und unter anderem das Buch "Anne Frank" ins Deutsche übertragen, das sie dann durch eine Lebensgeschichte unter dem Titel "Ich sehne mich so" ergänzte. Auch aus dem Hebräischen übersetzt die umtriebige Autorin mit der ihr eigenen Leidenschaft.
Dass Schreiben wie auch Lesen Lebensersatz sein kann, weiß sie und kann damit leben. Die Pressler-Werkstatt arbeitet in der Holledau jedenfalls weiter auf Hochtouren. Im nächsten Frühjahr erscheint bei ihrem Hausverlag Beltz & Gelberg der Roman "Wundertütentage" mit einem elfjährigen Protagonisten und ein Bilderbuch mit Gedichten. Und ihr liebstes Jugendbuch? Mirjam Pressler braucht nicht lange nachzudenken. "Huckleberry Finns Abenteuer" lacht sie, "das ist so schön anarchisch."
Malka Mai (Hardcover, ab 12) und Bitterschokolade (Taschenbuch) sind wie alle anderen Kinder- und Jugendbücher von Mirjam Pressler (z.B. Novemberkatzen, Für Isabel war es Liebe, Die Zeit der schlafenden Hunde) im Verlag Beltz & Gelberg erschienen.
Gedankengift
So richtig Neuland ist es nicht, was Mirjam Pressler mit ihrem Buch "Rosengift" betritt, sind doch viele Jugendbücher auch für Erwachsene durchaus lohnende Lektüre. Als sie den Roman schrieb, habe sie plötzlich gemerkt: "Das wird kein Jugendbuch", gestand die Autorin. Tatsächlich ist Rosengift eine Art Krimizwitter, infiziert mit giftigen Gedanken und mörderischen Fantasien, die an Ingrid Noll erinnern. Doch das Buch ist weit mehr als ein Krimi. Mirjam Pressler spielt mit der Doppelbödigkeit eines Romans im Roman und gewährt dem Leser tiefe Einblicke, wie sich wirkliches und fiktives Leben gegenseitig beeinflussen.
Während die Krimi-Autorin Lisa Bratt an ihrem Plot feilt und die Protagonistin überlegen lässt, wie sie den lästigen Ehemann am besten aus dem Rosengarten räumt, gerät ihr eigenes Leben aus den Fugen. Aus Mitleid nimmt sie Annabella, eine fremde junge Frau, bei sich zu Hause auf und sie geht eine Liaison mit einem gut aussehenden Mann ein. Eigentlich könnte
alles wunderbar sein, wenn der menschliche Faktor nicht wäre. So aber stirbt Lisas Traum von einer Familie einen schnellen Tod und der immer wieder umgedachte Roman bleibt unvollendet. "Schreiben ist Leben", das hat Lisa erkannt, "es ist die Nische, in der ich lebe."
Mirjam Pressler: Rosengift. Blomsbury, 249 S., 18 ¤