Wo sich noch 2019 Tausende von Besuchern durch die Ausstellungshallen am Berliner Funkturm auf Weltreise begeben konnten, herrscht in diesen Tagen gähnende Leere. Auch die weltgrößte Tourismusmesse ITB ist ins Netz gegangen und wird nur online zu besuchen sein. Einige Forschungsergebnisse wurden schon am Montag verkündet. Sie zeigen, wie sich der Tourismus in Corona-Zeiten verändert hat.
Beispiellose Auswirkungen von Corona
Für Tourismusforscher Martin Lohmann, der die ersten Ergebnisse der Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reise (FUR) vorstellte, sind die Auswirkungen der Pandemie „beispiellos“. Haben sie doch seit Ende des Jahres den Urlaubstourismus fast vollständig zum Erliegen gebracht. Dennoch träumen die Deutschen weiterhin vom Reisen. Allerdings schmieden laut der Reiseanalyse weniger konkrete Pläne Aber aus Träumen könnten auch Pläne werden, gibt Lohmann zu bedenken – wenn denn die Rahmenbedingungen stimmen. Zumal den Deutschen nur Lebensmittel wichtiger sind als Urlaubsreisen.
Positive Einschätzung der eigenen Lage
Die eigene wirtschaftliche Lage schätzten immerhin 68 Prozent als gleichbleibend, zwölf Prozent sogar als besser ein, während die allgemeine wirtschaftliche Lage von 59 Prozent als „schlecht“ eingestuft wird. Entsprechend haben nur 14 Prozent keine Urlaubsabsichten, und 38 Prozent sind unsicher. 49 Prozent aber wollen reisen, 21 Prozent davon mit festem Ziel. Für diese Pläne sind eine Geld-zurück-Garantie, flexible Buchungskonditionen und Hygienemaßnahmen vor Ort wichtig. Nur wenige befürchten, am Urlaubsort zu erkranken.
Reise-Ausgaben wie vor 40 Jahren
2020 war die Reisewelt von Corona geprägt, die Gesamtausgaben der Deutschen für Reisen lagen mit 45 Milliarden auf dem Niveau der späten 1980er Jahre. Trotz deutlich gesunkener Nachfrage war, so Lohmann, „noch anständig was unterwegs“. Vorwiegend im Inland. Und da lag Bayern an der Spitze vor Mecklenburg Vorpommern und Schleswig Holstein. Im europäischen Ausland war Spanien vor Italien und Österreich gefragt, wobei alle Länder Verluste hinnehmen mussten – nur die Niederlande und die Schweiz konnten zulegen. Bei den Verkehrsmitteln lag das Auto vorne, das Flugzeug befand sich im Sinkflug. Pauschalreisen waren rückläufig, und der Trend zu Online-Buchungen hat sich verstärkt – auf 49 Prozent.
Trend zur Digitalisierung
Corona hat den Trend zur Digitalisierung beschleunigt, stellte auch Michael Buller vom Verband Internet Reisevertrieb (VIR) fest. Die Corona-App ist für den Manager allerdings ein „totaler Fehlschuss“. Eine App muss seiner Meinung nach in der Lage sein, Infektionsherde auszumachen. Auch dass die Touristik bei den gerade vereinbarten Öffnungsschritten gar nicht vorkommt, ärgert Buller. „Wir werden seit Monaten ignoriert“, kritisiert er. Und das, obwohl die Touristik vier Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitrage und in Deutschland 2,9 Millionen Menschen beschäftige. Außerdem sei inzwischen klar, dass der Tourismus „kein Pandemie-Treiber ist“.
Folgen der Quarantäne
Als „Killer der Nachfrage“ wertet Ulf Sonntag von der FUR die Quarantäneregelungen und die ständigen Änderungen der Gebote vor Ort. Trotzdem hat Marktforscher Roland Gassner eine „leicht steigende Tendenz“ beim Buchungseingang festgestellt, zum Teil werde sogar schon für 2023 gebucht, berichtete er. Impfungen könnten für einen Schub sorgen, „aber die Zeit läuft uns davon“.
Neustart womöglich schon zu Ostern
Marek Andryszak, Vorsitzender der TUI Deutschland Geschäftsführung, würde einen europaweiten Impfpass begrüßen, der mehr Planungssicherheit bedeute. Weil aber davor zumindest ein Großteil der Kunden geimpft werden müsste, ist für ihn das Testen deutlich wichtiger. Vor Ort habe die TUI funktionierende Hygienekonzepte realisiert, so dass es bei 100 000 Kunden gerade mal 0,5 Infektionsfälle gebe. Andryszak erwartet deshalb einen „Ansturm der Kunden“, wenn die Reisewarnungen fallen und das Infektionsgeschehen zurückgeht. Dann rechnet er auch mit „sehr kurzfristigen Buchungen“ etwa nach Mallorca – womöglich noch für Ostern. Was die Preise angeht, buchten die Kunden „mehr und besser“. Wegen noch ausreichender Kapazitäten seien allerdings die Reisepreise derzeit „sehr attraktiv“. Eine Änderung des Urlaubverhaltens erwartet der Manager nicht.
Spaßtourismus mit „Seuchen-Hautgout“
Zukunftsforscher Matthias Horx dagegen rechnet mit größeren Veränderungen in der Art des Reisens. „Spaßtourismus wird immer eine Art Seuchen-Hautgout haben“. Reisen werde zu einem neuen Wert für die persönliche Entwicklung. Kultur, Natur und Gesundheit rückten mehr in den Focus. Die Tourismusindustrie können nur mit neuen Ideen überleben.