Der zehnjährige Charlie hat seine Lektion gelernt. Als die Polizei seine Mutter in einem herunter gekommenden Wohnsilo in einer Pariser Vorstadt abholt, verschwindet er. Ganz allein macht sich der kleine Kerl auf den Weg, um seinen drogenabhängigen Bruder Henry zu suchen. Vielleicht kann der ihm ja erklären, warum die Polizei ihre Mutter abgeholt hat.
Und so irrt Charlie durch eine apokalyptische Welt, in der zerfallende
Behausungen Namen wie zum Spott Namen wie Chopin, Rimbaud oder Verlaine
tragen, die überfüllten Schulen nach Sartre oder Simone de Beauvoir
benannt sind und ein Einkaufszentrum, wo Schnee höchstens in Drogenform
vorkommt, Courchevel heißt. Charlies Familie stammt aus Mali. Seit der
Vater mit den Papieren auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist, verdient
die Mutter den Lebensunterhalt für sich und ihre Söhne mit Putzen bei
einer Pariser Familie, den Rolands. Über all das denkt Charlie auf
seinem Irrweg durch die labyrinthische Vorstadt nach und darüber, warum
Henry, der in der Schule immer der Beste war, so abgestürzt ist. Aber
auch anderes geht dem Knirps durch den Kopf: Melanie, die in der Schule
neben ihm sitzt, die Freunde, mit denen er gerne Streiche ausheckt, der
Himmel über Paris und – Gedichte von Rimbaud. Denn Charlie ist ein
schlaues Kerlchen und macht sich mehr Gedanken als andere Jungs in
seinem Alter.
Es hätte nicht Monsieur Rolands Aufforderung bedurft „Im Leben muss man
lieben und zwar sehr… Was auch geschieht, sieh zu, dass dein Herz immer
voll ist.“, um die Leser an Saint-Exupérys weltberühmten kleinen Helden
zu erinnern. Charlie ist eine Art moderner Wiedergänger des Kleinen
Prinzen. Und sein Universum ist ganz von dieser Welt, die Pariser
Banlieu. Erstaunlich, dass Samuel Benchetrits poetische Geschichte, die
in Frankreich mit dem Prix Populiste ausgezeichnet wurde, es bei uns
nicht in die Bestsellerlisten geschafft hat. Auch wenn der Kleine
manchmal etwas altklug daherkommt und seine Umgebung mehr als
deprimierend ist, hat das Buch doch ein gewaltiges Mutmacher-Potenzial.
Info: Samuel Benchetrit, Rimbaud und die Dinge des Herzens, Aufbau, 254 S., 16,95 Euro