Wichtige Wiederentdeckung: Katherine Anne Porters „Das Narrenschiff“

Über 20 Jahre schrieb sie an ihrem Roman, der gerade mal die Zeitspanne einer Schiffsreise umfasst. Als das „Ship of fools“ 1962 erschien, machte es seine Autorin weltberühmt: Vier Jahre später erhielt Katherine Anne Porter den Pulitzer Preis. Und doch geriet ihre hellsichtige Zivilisationskritik in Vergessenheit.   

Umso schöner ist diese Wiederentdeckung eines der großen
Gesellschaftsromane des letzten Jahrhunderts. Dabei sind Porters
Charaktere alles andere als sympathisch. Von Anfang an zeichnet sie die
Schiffspassagiere, die 1931 einer Heimkehr nach Europa entgegen fiebern,
ohne jede Illusion, reißt ihnen die Maske der Wohlanständigkeit vom
Gesicht und entlarvt ihre geistige Leere und ihre Gefühlsarmut. Sie alle
fühlen sich als privilegiert, blicken auf die Ärmsten herab, die sich
im Zwischendeck drängen und sorgen sich mehr um die Bulldogge eines
kinderlosen Ehepaars als um einen jungen Mann, der beim Versuch, das
täppische Tier zu retten, ertrinkt. Während die einen ihre
Menschenverachtung wie einen Schild vor sich hertragen, maskieren die
anderen ihre Unmenschlichkeit hinter weinerlichen Sympathiebezeugungen.
Dabei sind sie allesamt unfähig zu Mitgefühl und selbst das Liebespaar
an Bord sucht vergeblich nach echten Gefühlen.
Das Schiff, auf dem auch noch eine leichtlebige Zarzuela-Gruppe, eine
verbannte und leicht verwirrte Gräfin sowie ein paar kubanische
Studenten für Verwirrung sorgen, wird zum Mikrokosmos. Der schöne Schein
ist längst dahin und immer deutlicher wird die gegenseitige Verachtung
an Bord. Beim Maskenfest schließlich fallen die letzten Schranken. Zu
dünn ist das Mäntelchen der Zivilisation. Mit ihrem Roman hat Porter
gezeigt, warum die Nazis leichtes Spiel hatten und wie schnell alle Hemmungsmechanismen versagen.
Aber diese bitterböse
Gesellschaftssatire reicht weit über ihre Zeit hinaus. Sie hält uns
allen den Spiegel vor, zeigt uns gnadenlos, wozu wir fähig sein können.
Das Narrenschiff ist nichts anderes als unsere Welt auf der Reise ins
Ungewisse. 
Info: Katherine Anne Porter, Das Narrenschiff, Manesse, 704 S., 26,95 Euro

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