Was Shakespeare vermag: Stephen Landrigan/Quais Akbar Omars „Shakespeare in Kabul“

Vor 450 Jahren wurde William Shakespeare geboren, der Mann, dem bis heute die größten Tragödien und schönsten Komödien der Welt zugeschrieben werden. „All the world’s a stage“ hat der große Dramaturg den melancholischen Jacques in „Wie es euch gefällt“ sagen lassen, die ganze Welt ist Bühne. Und trotzdem hätte er sich gewundert, was seine Stücke heute noch zu bewegen vermögen. Selbst in einem von religiösen Kriegen zerrissenem Land wie AfghanistanDas Buch „Shakespeare in Kabul“ erzählt von dem einzigartigen Experiment, ein Stück des britischen Dichters auf eine afghanische Bühne zu bringen. 

Doch welches? Vor allem die Tragödien boten zahlreiche Parallelen zur Geschichte des Landes und der Taliban-Diktatur. Bürgerkriege, Komplotte und Gegen-Komplotte, ja sogar Ehrenmorde – das alles kennen die Afghanen aus ihrem Alltag. Aber wollen sie es auch auf der Bühne sehen? Die Verantwortlichen unter der französischen Regisseurin Corinne entschieden sich deshalb für die eher harmlose Komödie „Verlorene Liebesmüh‘“. Doch selbst dieses Stück war eine echte Herausforderung, standen doch zum ersten Mal seit über 30 Jahren Männer und Frauen gemeinsam auf der Bühne. Vor allem die Frauen, die selbstbewusst eine Lösung herbeiführten, überzeugten die Regisseurin, dass dieser Shakespeare in Kabul gehört werden musste. Welche Probleme auf sie warteten, ahnte sie allerdings nicht.
Es dauerte, bis die Männer die Gleichberechtigung der Frauen auf der Bühne akzeptieren. Es dauerte, bis alle Shakespeares Verse verstanden. Es dauerte, bis jeder sich mit seiner Rolle identifizierte. Und doch schienen Shakespeares Worte auf fruchtbaren Boden zu fallen: „Shakespare ist wie ein starker Wind, der direkt durch den Geist und das Bewusstsein des Menschen weht und so Antworten aufwirbelt, nach denen wir lange gesucht haben,“ formulierte es einer der Hauptdarsteller. 
Und der Übersetzer Qais Akbar Omar, der lange Zeit das Gefühl hatte, zwischen allen Stühlen zu sitzen, stellte in seinen Notizen (die zur Grundlage des Buches wurden) fest: „Allen Rückschlägen zum Trotz muss man die Forstschritte, die die Schauspieler machten, historisch nennen. Sie schoben mehr als nur ein Jahrtausend tradierter gesellschaftlicher Sitten und Bräuche beiseite und überwanden ein dreißig Jahre währendes Trauma.“ Auch bei den Zuschauern, die sich in Scharen einfanden, war die Resonanz überwältigend. Shakespeare in Kabul, das war auch eine sehr politische Botschaft: Nur durch die Vertreibung der Taliban war es möglich geworden, eine Liebesgeschichte auf die Bühne zu stellen. Ein Tabu wurde gebrochen, Hoffnung geschürt. 
Doch nur kurze Zeit später explodierte eine Bombe in der Universität von Herat aus Protest gegen ein Bildungswesen, das Frauen zuließ. Und eine der Schauspielerinnen erfuhr in der eigenen Familie die Engstirnigkeit und Grausamkeit der von den Taliban indoktrinierten Landsleute. Ihr Mann wurde Opfer von Meuchelmördern, weil er seiner Frau erlaubt hatte, im Shakespeare-Stück mitzuspielen. Wie sagte ein Student auf die Frage, warum Shakespeare ihm gefalle: „Er lässt dich mit dem einen Auge lachen und mit dem anderen weinen.“ 
Info: Stephen Landrigan/Qais Akbar Omar, Shakespeare in Kabul – Ein Aufbruch in drei Akten, Unionsverlag, 310 S., 17,99 Euro          

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