Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit: Touristische Runde zum Thema Terror

Die Terror- und Krisenspezialisten waren unterschiedlicher Meinung, was die Wechselwirkung von Tourismus und Terrorismus angeht, in einem aber waren sich Thomas M. Wandinger vom Institut für Politik und Internationale Studien und Peter Höbel von Crisadvice einig: „Gesunder Menschenverstand ist durch nichts zu ersetzen.“ Auch die Eigenverantwortung der Touristen wurde mehrfach angemahnt ebenso wie die Krisensensibilität der Branche, die sich zu lange auf ihrem Schönwetter-Image ausgeruht habe.


Kann das System Tourismus auf Dauer funktionieren?“
fragte Wandinger, um gleich nachzuschieben, dass der Konfliktsockel
hoch und die Gewaltbereitschaft der Terroristen gestiegen sei. Die
Akteure würden immer jünger, gewaltbereiter und leichter motivierbar.
Die bisherigen Anpassungsstrategien kämen nicht mehr nach, weil die
Krisen nicht mehr mit nur einer Ursache erklärbar und mit einem
Instrument lösbar seien. 2020, das habe die Welttourismusorganisation
errechnet, würden 1,6 Milliarden Menschen auf Reisen gehen, „der
gesamte afrikanische Kontinent“. Eine solche Masse Touristen sei kaum
mehr zu schützen. Zudem mache der Prozess der Staatenerosion alles noch
schwieriger und in den Megastädten entstünden neue Strukturen der
Unregierbarkeit. Einen wirklichen Lösungsweg sah Wandinger nicht. Im
Gegenteil, wir befänden uns erst am Beginn einer großen Konfrontation
und müssten uns auf die Terrorgeneration Al Qaida 2.0 (analog zum web 2.0) vorbereiten. „Unsere Systeme müssen prophylaktisch handeln“,
forderte Wandinger. „Wir müssen schneller sein als die Täter.“ Das
erfordere allerdings Früherkennung -auch durch Infiltration. Der Staat
müsse sich dem Ernst der Situation ebenso stellen wie die Veranstalter.

Peter Höbel sah nicht ganz so schwarz, auch wenn er einräumte, dass das
Gefährdungspotenzial gestiegen sei – in allen Bereichen. Der Tourismus,
da ist er ganz sicher, nehme keine Sonderstellung ein. Touristen seien
nicht mehr gefährdet als andere. Allerdings forderte auch Höbel ein
Mehr an Krisensensibilität bei Veranstaltern und Airlines. Zwar habe
die Bereitschaft zugenommen, sich beraten zu lassen. Aber die
Reiseveranstalter reagierten höchst unterschiedlich. Höbel zeigte sich
überzeugt davon, dass Pauschaltouristen bei ihren Veranstaltern in
besten Händen seien. Diese böten schon aus Eigenschutz in hohem Maße
Sicherheit „solange sie es können“. Trotzdem forderte auch er ein Mehr
an Prävention bei problematischen Zielgebieten. Veranstalter sollten
eine Destination aufgeben, sobald sie die Sicherheit ihrer Reisenden
dort nicht mehr gewährleisten können. Die deutsche Reiseindustrie,
meinte er, habe das Problem erkannt. Allerdings: Lösungen seien noch
nicht in Sicht wegen der Komplexität des Themas und wegen des
Wettbewerbs: „Krisenprävention gibt es nicht zum Nulltarif.“

Monika Reitsam-Rieger von der Reiseversicherung Elvia nannte noch einen
anderen Grund dafür, dass die Reiseindustrie eher träge auf die
Terrorgefahr reagiert. „Sicherheit war ein Thema, über das nicht gern
gesprochen und das nicht gern kommuniziert wurde.“ Die Elvia habe
allerdings schon seit 2002 mithilfe eines Sicherheitsbarometers „das
subjektive Empfinden von Menschen, die auf Reisen gehen“, untersucht.
Dabei sei das Unsicherheits-Empfinden seither von 45 auf 65 Prozent
gestiegen. Die Menschen hätten allerdings zunehmend das Gefühl,
„nirgendwo gänzlich sicher“ zu sein. Angst mache vor allem die
Häufigkeit von Anschlägen und dabei gäbe es zwischen Männern und Frauen
keine Unterschiede. Deutlich werde, dass Touristen ab 60 ängstlicher
seien. Im Angesicht der Alterspyramide gewinne das Thema also immer
mehr an Bedeutung.

Klaus Dietsch
von Studiosus konnte dem nur zustimmen. Der Münchner
Studienreiseveranstalter hat 2001 „schon als Reaktion auf 9/11“ ein
Krisen-Vorwarnsystem eingerichtet. Dabei hätten viele Wettbewerber noch
bis 200 4 Angst davor gehabt, „Kunden zu vergraulen“, räumte Dietsch
ein. Und das, obwohl die renommierte Reiseanalyse der Berliner
Tourismusbörse
ergeben habe, dass Touristen mit 87 Prozent die
persönliche Sicherheit höher schätzten als das von ihr ständig hoch
gehaltene Preis-Leistungsverhältnis (85 Prozent). Die nötigen
Informationen bekomme Studiosus über das Netz der Reiseleiter und
–Agenten „oft schneller als dpa oder auch das Auswärtige Amt“. Dann
gehe es ans Sammeln und Abwägen, denn schließlich hätten die
Informanten ein subjektives Interesse – auch das Auswärtige Amt. Für
Studiosus gelte jedoch die Devise, sobald ein objektives
Unsicherheitsempfinden da sei, „nehmen wir das Land aus dem Programm“.
Durch solche Konsequenz habe sich der Studienreise-Spezialist das
Image eines verantwortungsvollen Unternehmens erworben.

Solches Verhalten lobte Wandinger als vorbildlich und rief die Branche
zum Umdenken auf. Touristen müssten auf gefährliche Situationen besser
vorbereitet werden. In Krisengebieten seien die Hotels oft so etwas wie
Fluchtburgen. Doch sie könnten auch zu Zielen von Anschlägen werden.
Deshalb sei es wichtig, das richtige Verhalten für solche Situationen
zu trainieren. Der Politik-Experte mahnte qualifizierte
Hintergrundanalysen an und warnte davor, Attentatsanleitungen im
Internet zu verharmlosen. Sie seien „Lockstoff für apokalyptische
Einzeltäter“. Die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes wertete er
als „formalrechtlichen Akt“, der die Sicherheitslage „nicht unbedingt
realistisch“ wiedergäbe. Monika Reitsam-Rieger nahm auch die
nationalen Tourismus-Organisationen in der Pflicht. Sie handelten
vielfach aus wirtschaftlichen Interessen und verhinderten so die
nötigen präventiven Maßnahmen. Auch die Unselbständigkeit der
Durchschnittsurlauber ist für sie ein Problem. Solche Touristen würden
durch die Informationsflut überfordert. Da sei die Reisebranche als
Katalysator gefragt. Fazit der Runde: Wachsamkeit ist der Preis der
Freiheit.

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