Täter und Opfer: Bernhard Sinkels „Augenblick der Ewigkeit“

Nein, ein richtiger Sympathieträger ist diese Karl Amadeus Herzog
nicht. Dazu hat er seiner Karriere zu viel geopfert, hat zu viele
Weggefährten an den Rand gedrängt, die Familie gespalten und sich
selbst überhöht. Aber ein Großer seiner Zunft ist der Maestro allemal.
Wenn er seinen Taktstock schwingt, wird Musik zum Ereignis. Da sieht
man ihm schon nach, dass er sich schon zu Lebzeiten in den Olymp der
Unsterblichen katapultieren und seine Auftritte für die Ewigkeit
konservieren will.

In seiner Karriere, die ähnlich verläuft wie die des großen Rivalen
Karajan, gelingt Herzog alles. Doch im Leben scheitert er. Er wird zum
Mitläufer, um seine Laufbahn zu retten und mogelt sich durch die
Entnazifizierung, um dann wie Phönix aus der Asche wieder am
Dirigentenpult zu stehen. Und doch überfällt ihn an seinem 80. Geburtstag, als er alles erreicht zu haben scheint, was ein Mensch
erreichen kann, tiefe Traurigkeit. Autor Bernhard Sinkel schickt seinen
musikalischen Heroen auf eine Reise in die Vergangenheit, dorthin, wo
der Samen für Herzogs weitere Entwicklung gelegt wurde und wo
vielleicht auch der Grund für seine Gier nach Anerkennung zu finden
ist. Er lässt ihn die erste Liebe mit Franziska wieder erleben, die
seine Muse wird und die er schmählich im Stich gelassen hat. Er
konfrontiert ihn mit dem gewaltsamen Tod des Vaters und seiner feigen
Haltung unter den Nazis. Der Filmregisseur Sinkel („Deutschland im
Herbst
“) findet einprägsame Bilder für die Kindheits-Idylle, den Furor
der Musik und das Grauen des Krieges. Bei den Liebesszenen allerdings
scheint er zuweilen überfordert und flüchtet sich in Klischees.
Trotzdem vermittelt sein Buch über die Zerrissenheit einer großen
Künstlerpersönlichkeit das eindringliche Bild eines Jahrhunderts der
Konflikte:  "Karriere – ach, was weißt du denn schon, was es heißt, die Karten werden neu gemischt und du darfst nicht mit am Spieltisch sitzen. Komm mir nicht mit Moral! Selbst Karajan sagte, als man ihm vorwarf, in die Partei eingetreten zu sein,nur um Generalmusikdirketor in Aachen zu werden, füf den Job hätte er sich eine Hand abhacken lassen oder sogar einen Mord begangen."

Info: Bernhard Sinkel, Augenblick der Ewigkeit, Knaus, 544 S., 22,95 Euro

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