Schneeparadies auf der Sonnenseite

Die Adler Lounge ist weithin sichtbar.  Der Stahl-Glas-Kubus mit der meterhohen roten Schrift thront auf  einem Schneeplateau in rund 2500 Metern Höhe, Symbol für die Höhenflüge, die in diesem Skigebiet, dem größten Osttirols, noch geplant sind. Ehrgeizig waren die Ausbaupläne von Anfang an und es wurde an nichts gespart. Wollte man doch in den „legendary Mountains“, die die Natur rund um den Großglockner hingestellt hatte, eine ebenso legendäre Wintersportwelt schaffen.

35 Millionen Euro hat der Ausbau von Pisten, Lift- und Beschneiungsanlagen sowie der Gipfelstation verschlungen, sagt Kaspar Unterberger, Geschäftsführer der Bergbahnen Kals und seit 24 Jahren dabei. Also schon damals, als das Skigebiet an Heinrich Schultz verkauft wurde. Der Sohn eines lettischen Einwanderers hatte im Zillertal  Seilbahngeschichte geschrieben und sich den Namen „Millionen-Heini“ erworben. Vor fünf Jahren starb der Patriarch im Alter von 63 Jahren. Heute führen seine Kinder Heinz und Martha die Geschäfte in seinem Sinn weiter. „Skifidelity“ nennt sich die Schultz-Gruppe selbstbewusst. Fünf Skigebiete und zwei große Sporthotels zählen zum Imperium und das jüngste Projekt ist das Großglockner Resort, das durch den Zusammenschluss der Ortschaften Kals und Matrei entstanden ist. Sieben Millionen Euro hat das Land Tirol zum Ausbau beigesteuert, der Osttirol endlich den lang ersehnten Anschluss an die internationalen Touristenströme verschaffen soll.
Dafür wurde zwei Jahre lang ordentlich geklotzt. „Die Männer arbeiteten Tag und Nacht“, berichtet Kaspar Unterberger stolz und erzählt, dass zum Beispiel für die Adler Lounge „an Ort und Stelle“  betoniert wurde. Noch im letzten Jahr seien Tausende  von LKW da hochgefahren. „Unglaublich“, sagt der  Mann mit der Bommelmütze und schüttelt den Kopf, als könne er es immer noch nicht fassen, dass das ehrgeizige Projekt fertig ist. Es war ja auch ein langer Weg vom Einersessel, der 1961 von Großdorf zur Blauspitze führte bis zum  Skigebiet der Superlative mit drei Gondelbahnen, sechs Sessel- und sechs Schleppliften. Dass darunter die erste Sesselbahn Ostirols mit Sitzheizung ist, wundert kaum noch.
Martha Schultz legt die Messlatte hoch: „Wenn’s machbar ist, warum nicht das Neueste?“ Die Kunden wollten es und sie wollten immer mehr, das hätten Befragungen ergeben, erklärt die Power-Frau. 2008 habe die Schultz-Gruppe deshalb 300 Millionen Euro in Seilbahnen investiert, davon 200 Millionen in Nachrüstungen. Auch gegen glatt gebügelte Pisten hat die Vizepräsidentin der Tiroler Wirtschaftskammer nichts: „Ein guter Skifahrer ist auch auf der glatten Piste gut und der schlechte freut sich.“
In diesem Sinn haben auch schlechtere Skifahrer im Großglockner Resort viel Grund zur Freude. Leicht, mittel, schwer: unter den Cimaross- Pisten Richtung Matrei findet jeder die Richtige. Und für Variantenfahrer sind die Hänge, die eine Art halber Schüssel bilden, ein Traum. Nahezu aus allen Ecken kann man hier zur Mittelstation schwingen, mal über Pulver oder Firn, mal über gewalzte Pisten. An den Goldried-Liften – der alte Zweiersessel wurde inzwischen durch einen 6er-Sessel ersetzt – sind die Skischulen unterwegs und auch ein paar blutige Anfänger. Auch der Snow Park für die Boarder  ist hier, und ein Kinderland mit Wärmestube für den Nachwuchs.
Sonst beherrschen im Reich des Adlers vor allem sportliche Skifahrer die Pisten. Traumschön und fast unheimlich leer sind die Abfahren in Kals. Hochalpin der Einstieg an der Blauspitze, romantisch der Ziehweg, der an einer kleinen Kapelle vorbei zur schwarzen Abfahrt führt und der bei schönem Wetter das Gefühl vermittelt, man fahre geradewegs in das Großglockner-Massiv hinein. Ein Genuss auch die wunderbar geschwungene „exklusive Carving-Piste“, auf die sich kaum ein Skifahrer verirrt. Und dann Kals, mit seinen behäbigen Bauernhöfen, die sich um die Kirche scharen, ein echtes Bilderbuchdorf. Im Gegensatz zum quirligen Matrei gibt es hier keine großen Parkflächen, keinen High-Tech-Lifteinstieg, keine Schneebar, dafür ein paar bodenständige Pensionen und ein Baby-Hotel.  „Wir propagieren das Skifahren vor der Haustüre, vor allem hier in Kals,“ sagt Kaspar Unterberger. 2010 will die Schultz-Gruppe hinter Großdorf ein Feriendorf mit 500 Betten errichten – und direktem Pistenzugang.
Davon kann das brandneue Hotel Zedernklang nur träumen. Das Partnerhotel des Nationalparks Hohe Tauern liegt in Hopfgarten, rund  15 Kilometer von Matrei entfernt. Trotzdem erwartet man sich auch hier einen Aufschwung durch das Großglockner Resort. Bürgermeister Franz Hopfgartner war deshalb höchst erfreut über die Pläne von Tatjana Maksimova, in seinem Dorf ein Wellness- und Kongresshotel zu errichten. Die kleine, blonde Russin aus Jekaterinenburg, hat ihren Reichtum in der Stahlbranche erworben. Der Zufall führte die geschiedene Mutter von zwei Töchtern in das beschauliche Bergdorf Hopfgarten. Sie kam, sah und verliebte sich in die ursprüngliche Gegend. Mit Hilfe eines ortsansässigen Geschäftsfreundes erwarb die studierte Juristin eine für den Abriss vorgesehene Pension und baute an dieser Stelle ihr Traumhotel.  „Ich habe mich von der Natur inspirieren lassen“, erzählt sie und lächelt glücklich.
Tatsächlich holt das Design des Lienzer Architektenbüros die Umgebung ins Haus: Zirbenholz, Stein, Licht, Luft und Wasser sind die Grundtöne im Hotel, das sich schon von außen von den in Tirol oft üblichen Häusern im Trachtenlook abhebt. Auch in den Zimmern  und im großzügigen Spa gibt die Natur mit viel Holz und gläsernen Aus- und Durchblicken den Ton an. Billig war die Verwirklichung des Traumes nicht. Von ursprünglich geplanten sieben Millionen wuchsen die Investitionen auf zehn Millionen. Für die 50-jährige Geschäftsfrau, die in Russland Höhen und Tiefen erlebt und ihr Imperium noch vor der Wirtschaftskrise verkauft hat, kein Grund zur Sorge. Sie ist überzeugt davon, mit ihrem Hotel im Trend zu liegen und „der geht zum gesunden Urlaub“. Im Zedernklang werden deshalb auch Entschlackungskuren nach Dr. Jentschura angeboten, „erstmals in Österreich“, wie Tatjana Maksimova betont.
So oft wie möglich will sie selbst in ihrem Hotel sein. „Ich liebe die gute Luft, das frische Wasser, die Natur“, schwärmt sie. Trotzdem, zuhause ist sie in Jekatarinenburg. Und manchmal auch in London, dann, wenn sie ihre jüngere  Tochter Natalia besucht, die seit ihrem 13. Lebensjahr in England lebt und derzeit in der London School of Economics studiert. Auch Russlands Präsident Dmitri Medwedew habe dort schon Vorlesungen gehalten, erzählt die stolze Mutter. Ob Medwedew nicht auch ein guter Gast für ihr Hotel wäre? Die kleine Russin lacht und schüttelt den Kopf: Da wären die Straßen im Defereggental zu eng, um den Fuhrpark der ganzen Leibgarde zu bewältigen. 2007, erzählt sie dann, sei in den Tiroler Nachrichten ein Videoclip gesendet worden, auf dem Putin bei einem Besuch auf ihrer  Baustelle zu sehen war. Erst  zwei Tage später sei dann die Aufklärung gesendet worden. „Es war ein Aprilscherz.“ Aber was für einer: „Natürlich eine Super-Werbung.“ Ohnehin habe die lokale Bevölkerung regen Anteil am Bau des Hotels genommen und teilweise sogar Russisch gelernt. „Die Menschen hier haben mich mit offenen Armen empfangen“, sagt Tajana Maksimova. Jetzt muss das Hotel nur noch die gut situierten Gäste anziehen, die sich nicht nur der Bürgermeister erhofft. Eigene Busse stehen schon bereit, um sie ins Großglockner Resort zu bringen.
Oder auch nach Prägraten im herrlich hinterwäldlerischen Villgratental, wo sich Schneehase und Steinbock gute Nacht sagen. Hier ist jede Art von Skizirkus weit weg, Natur pur. Das war es wohl auch, was vor langer Zeit die Carl Friedrich von Weizsäcker und seinen Bruder Richard dazu bewogen hat, eine alte Alm als Feriendomizil für die Familie zu kaufen – und das ist es, was heute Skitourengänger in Scharen ins Tal lockt. Berg- und Skiführer Sigi Hatzer freut sich über jeden, den er im Gebiet des Großvenedigers führen kann. Obwohl: „Im Winter wär’s recht, wenn man sechs oder acht Haxen hätte“, glaubt der hagere Blonde mit dem kleinen Ohrring. Vor allem im Frühjahr ist der Andrang groß. Dabei wäre der Hochwinter im Januar und Februar die ideale Zeit für hochalpine Skitouren. Der Sigi lobt den „stabilen Schneeaufbau an der Alpensüdseite“, warnt aber davor, die Natur zu unterschätzen. „Der erste schöne Tag nach Neuschnee mit Wind ist gefährlich. Da ist es besser nicht zu viel zu riskieren.“
Jetzt ist der Schnee schon von Sonne und Frost zusammengebacken, ein kompakter Untergrund für die Tourenski. Nebelschwaden wabern über den Gipfeln. Nur das Krächzen eines Raben, das Knirschen des Schnees und hie und da das Keuchen eines Tourengehers unterbrechen die Stille. Es ist als halte die Natur den Atem an. Hin und wieder reißt der Nebelvorhang und gibt den Blick frei auf die dunkelbraunen Spielzeughäuser im Tal oder eine weiß glänzende Bergspitze. Hoch droben hat Sigi einen Steinbock erspäht. Eine kleine Hütte duckt sich unter der Last des Schnees, der auf ihr ruht wie ein dickes Plumeau.  Zeit für eine Rast vor der Abfahrt. „Im Gelände ist es wichtig, die Augen offen zu halten“, doziert der Skiführer.  Das wichtigste bei Skitouren sei die Planung: Wind, Wetter, Zeit und Richtung müssten berücksichtigt werden. „Bei uns muss man nicht in die wildesten Lawinenstriche reingehen“, stellt er befriedigt fest, „Wir haben ja eine große Auswahl an freiem Gelände.“ Schon schnallt er die Ski wieder an und fährt voraus in die Nebelwand. Und wie durch Zauberhand öffnet sich ein Lichtloch. In weiten Bögen kurven die Tourengeher bergab, der harsche Schnee trägt gut, der Blick schweift über die weiße Landschaft hinauf zu den zackigen Gipfeln.
Der Sigi bleibt stehen und weist ins Großvenedigergebiet. „Wir haben hier eine so schöne Landschaft“, sagt er, „nur kennen tut’s keiner.“ Natürlich, irgendwie sind die Villgrater selbst schuld, weil sie sich standhaft dagegen gewehrt haben, in einen Skizirkus eingebunden zu werden. Liftschneisen, Bettenburg und Discos sind eben nichts für die Menschen im Tal, erklärt der Führer. Wer hierher komme, der suche das Andere, das Ursprüngliche.  Und wenn er mal zu viel davon hat, dann kann er ja immer noch nach Matrei fahren, ins Großglockner Resort.
 
 

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