Satchmos weißer Boy – der neue Roddy Doyle „Jazztime“

Roddy Doyle, der schnoddrig-subversive Autor aus Irland, der sich mit „ The Commitments“ in die Herzen der Leser und mit „Paddy Clarke, ha ha ha“ in die Annalen des Bookers Price schrieb, macht in seinem neuen Roman „Jazztime“ einen Seitensprung in die Welt des Jazz. Henry Smart, den ebenso großmäuligen wie kindlich naiven Killer aus „Henry der Held“ verschlägt es auf der Flucht vor irischen Rächern nach Amerika, dorthin, wo jeder aufrechte irische Rebell die Freiheit zu finden glaubt. Dorthin, wo die Möglichkeiten angeblich unbegrenzt und die Frauen willig sind.
Und in gewisser Weise erfüllt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten
auch Henrys Traum, auch wenn die Vergangenheit ihm ständig auf den
Fersen ist. Er wird Teil des American way of life, läuft als lebende
Litfasssäule durch New York, verdient ein paar Extra-Dollars mit
Alkoholschmuggel, kommt der Mafia in die Quere, wird Packer in einer
Fleischfabrik in Chicago, ist dabei, als die Legende Louis Armstrong
geboren wird, wird ein Opfer der amerikanischen Depression und landet
mit seiner Familie unter den Millionen von Hoffnungslosen, die das Land
durchziehen – meist in Eisenbahnwaggons. Auch sein (vorläufiges) Ende
ist typisch amerikanisch: der mittlerweile einbeinige und fast zahnlose
Held wird sterbend in der Wüste gefunden – von der Hollywoodlegende
John Ford. Was das für Henrys weiteren Lebensweg bedeutet, wird wohl
Thema des letzten Bands der Henry-Smart-Trilogie.
Aber zunächst „Jazztime“, ein Buch wie eine Jam Session, mit harten
Beats und Wort-Stakkatos. Doyle versteht es wunderbar, den Rhythmus des
Jazz aufzunehmen und mit ihm zu spielen, vor allem in den mitreißenden
Szenen, wo Louis Armstrong, der spätere Satchmo, die Bühne betritt: „An
jenem Abend erfuhr ich alle seine Namen. Dipper. Gate. Gatemouth.
Dippermouth. Daddy. Pops. Little Louie. Laughing Louie. Louis
Armstrong. Die Namen schwirrten zwischen den funkelnden Lichtern herum,
die eine Spiegelkugel zuckend über die Tanzfläche schickte. Jetzt
tanzte er beim Spielen, als wären seine Beine an den Noten
festgebunden, die aus dem Trichter seines Horns sprangen. Die
Tanzschritte waren außer Rand und Band, aber er selbst hatte sich im
Griff. Er war Marionette und Marionettenspieler zugleich. Gott und
Jünger, eine Ein-Mann-Band.“
Mit seiner Sprache erweckt Doyle das Jazz-Zeitalter zu neuem,
schillerndem Leben. „Play that thing“ heißt es im Original und nicht
nur Jazz-Fans werden diese grandiosen Szenen lieben, in denen Louis
Armstrong die Bühne für sich hat, für sich und seinen weißen Mann,
Henry Smart. Doch die jazzige Improvisation, dieser ganz eigene
Sprach-Rhythmus ist nicht nur mitreißend, er kann auch ganz schön
verwirrend sein. Wenn Henry, betäubt von Trompetensoli, Alkohol und
Dope, nach frischer Luft lechzt, dann lechzt auch der Leser nach ein
bisschen mehr Klarheit, die ihm helfen könnte, die nötige Konzentration
wieder zu finden.
Aber vielleicht will Doyle das auch gar nicht. Denn ein konzentrierter
Leser könnte über ein paar Zufälle zu viel stolpern, die der Autor in
das Buch gepackt hat. Er könnte Anstoß nehmen an dem Tempo, mit dem die
Geschichte nach Satchmos Abgang den Bach runtergeht und der
Schelmenroman sich in eine Tragödie verwandelt – nur um am Ende doch
wieder eine Art Happy End in Aussicht zu stellen. Doch soweit kommt es
ja zum Glück nicht, denn Roddy Doyles geniale Improvisationstechnik
hält den Leser bei der Stange, bis zum Schluss – und darüber hinaus.
„Scheiß auf die anderen,“ sagt der Retter John Ford. „Es ist deine
Geschichte. Wie ein irischer Rebell hier gelandet ist. Die wahre
irische Geschichte.“ Lilo Solcher

Info: Roddy Doyle, Jazztime, aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann, Hanser, 480 S., 24,90 €

Der Autor macht auf seiner Lesereise zu „Jazztime“ am 8. März im Münchner Literaturhaus Station.

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