Reifeprüfung einer Amazone: Marente de Moors „Die niederländische Jungfrau“

Johanna von Orleans lässt grüßen beim Titel von Marente de Moors Roman „Die niederländische Jungfrau“. Auch diese Jungfrau ist eine furchtlose Amazone. Eine, deren Leidenschaft dem Fechten gehört – und bald schon ihrem Lehrmeister, einem adligen deutschen Kriegskrüppel, den mit ihrem Vater, einem holländischen Arzt, ein Geheimnis verbindet.

Vom Vater auf das abgelegene Landgut Raeren geschickt, wird das
neugierige Mädchen Janna zur Spionin in eigener Sache. Ungeniert
blättert sie in Briefen, wühlt in Bildern und kann die Beziehung
zwischen ihrem Vater und dem gestrengen Meister doch nie ganz ergründen.
Dafür erliegt die Pubertierende der Anziehungskraft des forschen
Rittmeisters mit der entstellenden Narbe im Gesicht, der auf seinem
Landgut illegale Mensuren für schlagende Studenten ausrichtet und Janna
weder beim Fechten noch in der Liebe schont.
Auf dem entlegenen Landgut,
wo die Machtergreifung der Nazis zunächst nur wie ein fernes Echo
ankommt, verliert nicht nur Janna ihre Unschuld. Bald wird nicht mehr
elegant mit dem Florett gefochten. Die Menschenverachtung des Zweiten
Weltkriegs kündigt sich mit Hauen und Stechen an. Der Knecht wagt sich
aus seiner Reserve, die spiegelgleichen Zwillinge, wie Janna Schüler des
Meisters, geraten außer Rand und Band, NS-Horden fallen über das
verwunschene Gut her und der Herr des Hauses entledigt sich seiner
gesammelten Andenken.
Die Zeit der Schonung ist auch für Janna vorbei. Als ihr Vater sie
abholt, ist das Mädchen durch Blut und Tränen gegangen und eine Frau
geworden, nichts verbindet sie mehr mit der niederländischen Jungfrau,
die nach Raeren kam. Und von Boetticher? Seine Zeit ist abgelaufen. Die
Ritterlichkeit hat abgedankt.
Marente de Moor erzählt mit ungewohnt kraftvoller Sprache und
ebensolcher Symbolik aus einer Zeit der Götterdämmerung und von Männern,
die wie Martin Halter in der FAZ schreibt „in den Stahlgewittern des
Ersten Weltkriegs an Leib und Seele verwundet, schon für den nächsten
Waffengang rüsten“. Jannas Spiegelfechtereien finden ihre Parallele in
den Säbelgefechten der Zwillinge, die am Ende sich selbst im
Doppelgänger zu treffen trachten. Nicht nur für die niederländische
Jungfrau ist Raeren zu einer „Reise ohne Rückkehr“ zum alten Selbst
geworden.
Info: Marente de Moor, Die niederländische Jungfrau, Suhrkamp,348 S., 22,90 Euro

Es gibt bisher keine Kommentare.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert