„Ich war bis 9/11 der
Lieblingsfeind von Theo van Gogh“, sagt Leon de Winter. Dem Filmemacher, der
2004 von dem islamischen Fundamentalisten Mohammed Boujeri buchstäblich
hingerichtet wurde, hat der niederländische Autor in seinem Buch „Ein gutes
Herz“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Und van Gogh würde sich wundern über
sein Alter Ego, das da im Totenreich herumschwirrt – zunächst als leibloser
Kopf, später als Schutzengel mit Flügeln. Rache sieht anders aus.
In dem komplexen, kunstvoll zusammengebauten Romangebäude – de Winter plant seine Romane akribisch „wie ein Architekt seine Häuser“ – laufen mehrere Geschichten zusammen: Der Mord an Theo van Gogh, eine Geiselnahme in einer Schule (wie 2004 in Beslan) und ein Verbrecher, der das Herz eines guten Menschen bekommt. Das Bindeglied ist eine schöne, kapriziöse Frau, die sowohl mit dem Spender als auch mit dem Empfänger des Herzes liiert war und aktuell mit einem Schriftsteller zusammenlebt. So kommt auch Leon de Winter ins Buch.
Das alles hört sich komplizierter an als es sich liest. Denn getreu seinem Wahlspruch „easy reading is hard writing“ (leichtes Lesen bedeutet harte Schreibarbeit) macht es der Autor dem Leser leicht, an der Geschichte, die abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, dran zu bleiben. Mal ist es Theo, dem wir lauschen, dann Max Kohn, der geläuterte Drogenbaron. Mal ist es Sonja, die (fiktive) Lebensgefährtin de Winters, mal ihr Sohn Nathan, dann der (tote) Herzspender Jimmy, ein Franziskanerpater. Mal ist es Sallie, der Anführer der radikal-islamischen Gruppe von Zuwandererkindern, die ein ganzes Land in Geiselhaft nehmen, dann ist es sein Vater, der für Max Kohn mordete und dafür hinter Gitter kam. Auch der Rechtspopulist Geert Wilders kommt zu Wort in diesem vielfältigen Konzert der Stimmen, die Hollands Zuwandererdebatte kommentieren. Dabei demaskiert de Winter nicht nur die niederländische Politikerkaste, stellt ihr Liebesleben aus und ihre Schwächen bloß, er macht sich auch selbst zum Narren. Statt mit der Rettung der Welt, beschäftigt sich sein alter Ego im Buch vorwiegend mit seinem Übergewicht („Er wog 20 Kilo zuviel“), dem Trennungsschmerz, nachdem ihm seine Frau Jessica Durlacher weggelaufen ist (das allerdings nur im Roman) und der Sorge, auch Sonja könnte ihn verlassen.
Wie ein Schachspieler schiebt de Winter seine Figuren hin und her, bis sie sich zu dem – aberwitzigen – Plot fügen, das Diesseits und Jenseits ebenso zu verbinden weiß wie Trivialität und Literatur. Dem „Scharlatan“ de Winter ist mit seinem Roman eine Art literarisches Wunder gelungen, ein genussvolles Lesestück, das sich so spannend liest wie ein Krimi. Dass ihm in Holland wegen der Verknüpfung von Realem und Fantastischem Unglaubwürdigkeit und Niveaulosigkeit vorgeworfen wird, schert den jüdischen Geschichtenerzähler nicht. „Das Wichtigste ist die Geschichte“, sagt er, und: „Vielleicht erreicht man ein hohes Niveau, wenn man leidet. Aber ich leide nicht gern.“
Info: Leon de Winter, Ein gutes Herz, Diogenes, 504 S., 22,90 Euro