Ramadan im Schlaraffenland

So fröhlich habe ich mir den Ramadan nicht vorgestellt. Gleich nach Sonnenuntergang wird’s lebhaft in Doha. Ganze Großfamilien finden sich am „Ifthar-Büfett” ein ­ zum traditionellen Fastentbrechen: tief verschleierte Frauen im schwarzen Tschador, Männer mit Burnus und in traditionellen Djellabas, junge Mädchen mit modischen Kopftüchern, aber auch europäische Geschäftsleute in dunklen Anzügen, Frauen im Kostüm und Urlauberinnen im kurzen Top über den engen Jeans. Gleich nebenan ist das Ramadan-Zelt aufgebaut. Hier wird bis zum Sonnenaufgang gefeiert wie in 1001 Nacht.
Die Wasserpfeife geht herum, ein Derwisch tanzt auf der Bühne und zu allem spielt die Musik. Immer neue Platten mit Lammfleisch und Gemüse werden herein geschleppt ­ und Sektkübel voller Wasserflaschen. Denn das einzige, was in so einer Nacht nicht in Strömen fließt, ist Alkohol. Das Four Seasons Ramadan Zelt gilt als das schönste in ganz Doha und ist den ganzen Ramadan über ausgebucht.
Gesponsert wird das orientalische Zelt von BMW und Doha Pearl, einem 2,5 Milliarden- Dollar-Projekt. Was für Dubai die Palme ist für den Wüstenstaat Qatar und seine Hauptstadt Doha die „Perle”, die dem Meer abgerungene Riviera Arabia soll nahe des Hyatt luxuriöses Wohnen in Hochhäusern und Strandvillen möglich machen. Doha bereitet sich auf die 15. Asian Games 2006 vor ­ und wirkt derzeit wie ein überdimensionierter Baukasten. Ein ehrgeiziges Bauvorhaben ist gerade fertig geworden: Am 1. Mai eröffnete mit dem Four Seasons das fünfte Fünf-Sterne-Hotel der Hauptstadt, in dem maurische Stilelemente mit moderner Wolkenkratzer-Architektur verschmelzen. Das Spa ­ ein Superlativ muss sein ­ gilt als das größte im Vorderen Orient. In der prächtigen Badelandschaft ergießt sich das entsalzte Wasser in vier Pools, die Gäste nehmen ihr Sonnenbad zwischen Palmen und vergessen ganz, dass hier jeder Grashalm dem Sand abgetrotzt werden muss. Die frischen Blumen im Hotel werden direkt aus Holland eingeflogen ­ jede Woche in einer anderen Farbe. In Doha scheint nichts unmöglich.
Wo noch vor ein paar Jahren Ödnis war, grünt heute der Green des Doha-Golfclubs, weltweit gelobt für die perfekten Fairways. 1300 Palmen, 10 000 Bäume und 5000 Büsche wurden gepflanzt, Dutzende von Kakteen aus Arizona eingeflogen, acht künstliche Seen angelegt. Zu Eis gefroren ist das kostbare Nass im Winter-Wunderland. Schlittschuhlaufen in der Wüste ­ kein Problem. Das Geld fließt wie das Öl sprudelt. In Qatar ist ein Liter Wasser teurer als ein Liter Benzin und Gas ist das Schmiermittel für die Zukunft des Wüstenstaats.
1971 wurde das Land in die Unabhängigkeit entlassen. Die Regierungsgeschäfte übernahm die königliche Familie, die im 18. Jahrhundert aus Saudi Arabien auf die Halbinsel gekommen war. Die konstitutionelle Monarchie will Demokratie wagen und hat im Juni dieses Jahres eine Reform eingeleitet, die Gleichheit vor dem Gesetz ebenso beinhaltet wie das Verbot von Folter, Presse- und Informationsfreiheit ebenso wie Religionsfreiheit. Noch vor 25 Jahren mussten die Qataris ihr Wasser in Krügen holen und ihr Geld als Perlenfischer verdienen. Heute sind die Wüstensöhne so reich, dass sie für ihren Lebensunterhalt nicht arbeiten müssen. Das überlassen sie den Ausländern, die sie aus aller Herren Länder holen. Von den 700 500 Einwohnern des Landes haben 70 Prozent einen ausländischen Pass. Derzeit werkeln die meisten auf dem Bau. Denn gebaut wird überall. Selbst der Souk wird aufgehübscht.
In den Asian Games sieht Qatar eine Chance, sich zur Schau zu stellen. Für die 10 000 Athleten entsteht ein ganzer Stadtteil, der später zum Hamad Medical City Complex umgewandelt wird. Im nächsten Jahr soll Doha auch eine eigene medizinische Fakultät bekommen. Das Stadion für 50 000 Zuschauer wirkt auf den ersten Blick wie eine gigantische Achterbahn. Die schwindelerregenden Stützen sind begehbar. Ganz in der Nähe macht sich ein riesiges Shopping-Center breit, ein überdimensionierter Einkaufswagen wirbt um Kunden. Pizza Hut und Burger King sind auch schon da, aber auch viele internationale Restaurants.
Emir Sheik Hamad bin Khalifa al-Thani regiert das Land mit strenger Hand und visionärem Eifer. In Doha will man sich von Dubai nichts vormachen lassen. In einem eigenen Förderzentrum werden kleine Athleten herangezogen, die spätestens in zehn Jahren dafür sorgen sollen, das Qatar im Medaillenspiegel ganz vorne mitmischt. Renommierte Universitäten werden ins Land geholt und ein neuer Flughafen entsteht, der spätestens 2015 50 Millionen Passagiere bewältigen und Qatar als internationalen Hub etablieren soll. Dass er ganz auf den Airbus 380 eingestellt sein wird, ist fast schon selbstverständlich. Platzhirsch Qatar Airways hat zwölf der Riesenflieger geordert.
Bei all der Moderne aber hat sich das Mutterland des aufgeklärten Fernsehsenders Al Djassira noch orientalischen Zauber bewahrt. Das Al Koot Fort im Herzen der Stadt aus dem Jahr 1880 erinnert an die bewegte Geschichte der Halbinsel, die Dhaus im Hafen werden immer noch handgefertigt wie zu Zeiten der Perlenfischer. Und wie in alten Zeiten pflegen die Scheichs ihre kostspieligen Hobbys: die Falkenjagd, Kamel- und Pferderennen. So ein Falke kann bis zu 30 000 Dollar kosten und benötigt einen eigenen Pass für den Grenzübertritt. Natürlich gibt es für die teuren Tierchen ein eigenes Hospital. Noch wertvoller sind die Pferde ­ die schönsten Araber züchtet der Emir selbst. Im eigenen Swimming-Pool finden die edlen Rösser Abkühlung.
Höchste Aufmerksamkeit gilt auch der Oryx-Antilope, die einst die fast menschenleere Halbinsel durchstreifte. Denn das Nationaltier Qatars, Symbol der nationalen Airline und (als Disney-Version) Maskottchen der Asian Games, ist vom Aussterben bedroht. Aufzuchtanstalten sollen den Bestand der grazilen Antilope für die Zukunft sichern.
Zukunft sieht die königliche Familie auch in ihren landwirtschaftlichen Projekten. In Farmen im Norden werden Tomaten, Blumenkohl, Auberginen und Salat angebaut. In ein paar Jahren will man das Gemüse exportieren. Noch reicht es nicht für den eigenen Gebrauch ­ die Tische auf dem Gemüsemarkt biegen sich unter saftigen Trauben aus Syrien, prallen Auberginen aus Jordanien, Kürbisfrüchten aus dem Libanon, frischen Kräutern aus Indien und Pakistan.
Apathisch sitzen die Händler neben ihren Ständen. Es ist Mittag ­ und brütend heiß. Auch wenn nebenan das Wasser im Brunnen sprudelt: Bis Sonnenuntergang dürfen sie nichts trinken und nicht einmal eine Traube essen. Das ist die Schattenseite des Rama

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